Das Geständnis der Amme
Mutlosigkeit über ihr Gemüt, das erste Mal seit ihrem Aufbruch. Bis eben hatte sie nur gehofft, die Truppe zu erreichen, wieder in Balduins Nähe zu kommen. Nun musste sie überlegen, wie sie am besten bewirkte, was sie sich zum Ziel gesetzt hatte: dass die Männer nämlich nur sie zu ihrem Vater mitnahmen, Balduin aber freiließen. Bis auf ihre königliche Würde – die man ihr allerdings zu kaum einer Stunde ihres Lebens weniger angesehenhatte als jetzt – hatte sie freilich nichts in die Waagschale zu werfen, um ihren Willen durchzusetzen. Und sie bezweifelte, dass das genügte. Die Männer würden sicher lieber sie beide gewaltsam mitnehmen, als sich dem Vorwurf auszusetzen, den Verfemten einfach laufen gelassen zu haben.
Ich muss Balduin befreien, dachte sie, ich muss zusehen, dass er flieht, und erst dann werde ich mich zu erkennen geben. Doch würden sie ihm nicht doch nachjagen und ihn wieder zurückschleppen? Und würde es ihr überhaupt gelingen, ihn zu befreien und dabei unbemerkt zu bleiben?
Nun, noch war es ohnehin nicht so weit, es überhaupt zu versuchen. Noch war es ratsam, die Truppe zu beobachten, zu zählen, wie viele Männer es waren, ihre Gewohnheiten zu erkennen – und somit auch, warum sie derart böse fluchten. Zunächst hatte sie es noch für äußerungen des Unmuts gehalten, weil es kalt war und sich die Sonne hinter grauen Wolken versteckte. Doch je länger sie lauschte, desto deutlicher hörte sie, dass die Männer nicht einfach nur verdrießlich waren, sondern höchst erregt.
»Wer hat ihn zuletzt gesehen? Warst du es, Suidger?«
Ein Mann antwortete, dessen Stimme jung klang. »Mitnichten. Ich habe ihm zu essen gebracht, doch Ebrulf und Dudon waren es, die hernach seine Fesseln überprüften.«
Er sagte noch etwas, aber die restlichen Worte gingen im Rauschen des Windes unter.
Judith überlegte, ob sie nähertreten sollte, schwang sich auf jeden Fall vom Rücken ihres Pferdes, beruhigte es, auf dass es nicht wieherte und schnaubte – und erschrak schier zu Tode.
Denn noch während sie zögernd stand, sah sie aus den Augenwinkeln einen Schatten auf sich zutreten. Dann legte sich eine Hand auf ihren Mund und machte es ihr unmöglich aufzuschreien.
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XXIV. Kapitel
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Nie, auch nicht während der Flucht aus Senlis, hatten sie eine gemeinsame Nacht verbracht, die so kalt war, so armselig – und so schön.
Judith hatten vor Erleichterung die Beine versagt, als sie gewahrte, wer der unbekannte Angreifer war: keiner der Männer ihres Vaters, sondern Balduin selbst, der sich hatte befreien können, aber zurückgekehrt war, um sie zu retten. Sie hatten keine Zeit, ihr Glück zu bekunden. Möglichst lautlos schlichen sie fort, um so lange ostwärts zu reiten, bis es Mittag war. Dann erst erlaubten sie sich eine erste Pause, um die Pferde rasten zu lassen.
»Wenn ich mehr hätte als dieses Messer, könnte ich Wild erlegen«, meinte Balduin gegen Abend hin und versuchte schließlich, in einem trüben Tümpel zumindest einen Fisch zu erbeuten. Was er mit bloßen Händen erhaschte, bestand nach Judiths Geschmack aus Gräten und Haut. Doch sie war froh, wenigstens das zwischen die Zähne zu bekommen – und umso mehr, dass Balduin einen Feuerstein mit sich trug und damit Flammen entzündete, auf denen er die magere Ausbeute seiner Bemühungen braten konnte.
»Und jetzt?«, fragte sie. Das schlimmste Frösteln war von ihr abgefallen, und dennoch schmiegte sie sich an ihn, legte ihm die Hand auf seine Schulter.
Er zuckte zusammen; an dieser Stelle hatte sie ihn nicht oft berührt. Sie konnte jeden Einzelnen seiner kräftigen Muskeln spüren. Mochte er diese in den letzten Monaten auch kaum strapazierthaben, so zeugten sie doch von jahrelangem Training und Kampf.
Da er nichts sagte, erläuterte sie schließlich einen Plan, den sie schon während der letzten Monate gesponnen hatte – als letzten Ausweg, wenn keine andere Wahl mehr blieb. Nun war es wohl so weit.
Sie sprach in knappen Sätzen, und er hörte mit gerunzelter Stirn zu. Sie ahnte, dass es ihm nicht gefiel, was sie ihm vorschlug, dass ihm so vieles in den Sinn kam, was dagegen sprach. Doch er wusste wohl auch, dass es die einzige Möglichkeit war, vereint zu bleiben und irgendwann ein friedliches Leben zu führen.
Zuletzt nickte er. »Aber wie wollen wir das anstellen?«
»Ich werde zurückkehren nach Trier«, sagte sie, »und Lothar berichten, dass ich dich nicht mehr vor der Grenze erreicht habe. Ich werde ihm
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