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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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Hier und in Laon ist sie eine Fremde – und in der übrigen
Gallia
die Tochter eines Verräters. Wer ist sie ohne Judiths Schutz?«
    »Gewiss vergeht sie vor Angst, wenn sie an die bevorstehende Mühsal denkt«, meinte Johanna abfällig.
    Madalgis lachte kurz auf, doch in den Worten, die sie danach sprach, klang ehrliches Grauen mit, das bewies, dass auch sie – trotz dieser unheimlichen Gelassenheit – eine junge Frau war, die Gefahren für das eigene Leben scheute: »Gott stehe uns allen bei auf dieser gefährlichen Reise … und lasse uns nicht zugrunde gehen, wenn wir die Alpen überqueren.«
     
    Brügge, A.D. 864
    Johanna vermochte nicht zu sagen, wie lange das Schweigen zwischen ihr und Balduin gewährt hatte. Vielleicht nur für die Dauer eines Wimpernschlags. Vielleicht viele Atemzüge lang, die ihr immer schwerer wurden.
    »Geh zu Judith«, murmelte Johanna, »sie … sie braucht dich jetzt. Sie braucht dich mehr als ich.«
    Wieder sagte er nichts. Schließlich machte es keinen Sinn, das abzustreiten. Sie konnte seine Zerrissenheit fühlen: einerseits sein Trachten, sie nicht allein zu lassen in ihrer Todesstunde, ihr das letzte Bekenntnis zu entlocken und solcherart Sinn in ihre rätselhaften Andeutungen von Schuld und Sühne zu bringen. Andererseits die Sorge um Judith, die sich nicht weit von ihnen quälte und deren Geschrei längst in ein armseliges Wimmern übergegangen war.
    Sie konnte sich des kleinen, bittersüßen Triumphes nicht erwehren, dass er sich nicht sogleich eindeutig für die Ehefrau entschied, dass seine Angst und somit auch seine Treue nicht minder stark ihr galten. Es gab so viele Stunden, da sie das Gefühl gehabt hatte, sämtliches Fühlen und sämtliches Denken seien für sein junges Weib aufgebraucht, sodass nichts mehr übrig blieb, um auch Anteilnahme an ihrem Leben zu zeigen. In jener Nacht zum Beispiel, da sie beschlossen hatte, mit nach Rom zu kommen.
    Zweifelnd hatte er sie angesehen und knapp gefragt: »Bist du sicher, dass du stark genug bist, das durchzuhalten?«
    Sie hatte gehofft, er sagte es aus Sorge zu ihr, wollte sie vor der
    ebenso kräftezehrenden wie gefährlichen Reise schützen. Doch ehe sie die Rührung übermannen konnte, sagte er: »Judith und ich sind in einer Lage, da wir auf niemanden Rücksicht nehmen können.«
    Sie hatte sich nicht nur zurückgewiesen gefühlt, sondern alt, schrecklich alt – genau betrachtet noch älter als jetzt, in der Stunde ihres Todes.
    »Gehl«, forderte sie jetzt. »Geh endlich, Balduin! Kümmere dich um Judith!«
    Sie fühlte, wie er aufstand und ihr Leib darob zur Seite kippte. Sie hatte keine eigene Kraft mehr zu sitzen. Erschrocken neigte er sich augenblicklich nieder, suchte sie zu stützen.
    »Johanna«, brach es aus ihm hervor, »die Schuld, von der du gesprochen hast, diese schwere Schuld, von der du denkst, du habest darob dein Leben verwirkt …«
    »Sprich nicht mehr weiter, jedes Wort ist verschwendet.«
    »Johanna … «
    »Geh, so geh doch endlich! Ich will nicht, dass du mich berührst! Ich will nicht, dass der Tod an deinen Händen haftet, wenn du bei Judith bist!«
    Er ließ nicht locker. »Diese Schuld«, fragte er erneut, rang dann mit sich, schien sich kurz nicht zu trauen, an einem Geheimnis zu rühren, das stets unausgesprochen zwischen ihnen gestanden hatte. »Hat sie … hat sie mit deinem Kind zu tun?«, presste er schließlich doch hervor. »Das Kind, das du gehabt hast, ehe du meine Amme geworden bist?«

Sechster Teil
In der Ewigen Stadt
A.D. 863
    »Wenn jemand die vom Inhaber des Heiligen Stuhles
in heilsamer Weise erlassenen Lehrsätze, Verbote,
Bestätigungen und Beschlüsse für den katholischen Glauben,
die kirchliche Disziplin, die Zurechtweisung der Gläubigen, die
Besserung der Verbrecher, das Verbot naher oder
fernerer übel missachtet, so soll er verflucht sein.«
    Aus den Annalen von Saint-Bertin

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XXV. Kapitel
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    Keiner der kleinen Reisetruppe – neben Judith und den Frauen zählten mehrere Leib- und Pferdeknechte dazu, die ihnen König Lothar wie erhofft anvertraut hatte – machte viele Worte. Weder beim Aufbruch von Trier noch, als nach einer Weile Balduin zu ihnen stieß, und auch nicht in den ersten Tagen, als sie die Straße Richtung Langres nahmen, um vorbei an Besançon und Orbe zum See von Saint-Maurice zu gelangen.
    Erst nach einiger Zeit berichtete Judith ihrem Mann von der Warnung, mit der ihr ein Priester vor dem Aufbruch in den Ohren gelegen hatte. Vor vielen

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