Das Geständnis der Amme
tatsächliehüber die Alpen wollt, besonders jetzt, zu dieser Jahreszeit, so werden Euch frühere Kriege läppisch vorkommen. Und Ihr wiederum, meine edle Dame, lasst mich Euch genauer betrachten: Ihr tragt Zobel statt Fuchs! Oho! Das ist edel! Also seid Ihr eine Hochwohlgeborene, von der man eigentlich denken könnte, sie hätte Geld genug für den etwas weniger riskanten Seeweg, der nach Rom führt. Nach Rom wollt Ihr doch, oder? Alle Welt will nach Rom – ich im übrigen auch. Was der Grund ist, warum ich Euch meine Hilfe anbiete. Man mag sich von meiner Erscheinung anderes erwarten, aber doch lebe ich ganz nach dem irdischen und selbstsüchtigen Gebot, wonach eine Hand die andere wäscht.«
»Wer zum Teufel …«, entfuhr es Balduin, die erste Pause nutzend, die der andere machte.
»Wer ich bin?«, fragte der Fremde und lachte. Es klang tief, und sein ganzer Leib schüttelte sich dabei. Jener war von nicht geringem Umfang, vielleicht, weil der Mann so klein war, dass es nicht viele Stellen gab, an denen die übermäßige Leibesfülle Platz gefunden hätte. Er war einer von denen, die nicht gen Himmel, sondern in die Breite wuchsen, und sein Gang glich darum dem Watscheln einer Ente. Ohne Zweifel war er ein Mönch, aber nicht eben ein solcher, dem ein beschauliches, frommes Leben anzusehen war. Die Tonsur auf seinem Hinterkopf war längst nicht mehr sorgfältig rund geschnitten, sondern ausgefranst, was nicht zuletzt daran lag, dass ihm rundherum die rötlich braunen Haare ausgegangen waren. An anderen Stellen wiederum, nämlich aus der Nase und aus den Ohren, wuchsen diese ihm buschig dicht. Seine graue, zerfledderte Kutte verriet genau, was er in der letzten Woche gegessen hatte: Da waren Spuren vom Hirsebrei, Brösel vom Brot, ein dunkler Fleck vom Met – seine rote Gesichtsfarbe ließ erahnen, dass er sich nicht allzu wenig davon einverleibt hatte –, und schließlich gab es ein paar fette Spritzer, die immerhin vom Genuss von Fleisch kündeten.
»Ich bin Bruder Wunibald«, erklärte er schließlich, indessen Judith und Balduin – noch immer überrumpelt von seiner jähenErscheinung – ihn verdutzt anstarrten. »Aus dem Orden der Benediktiner in Luzern, wo ich den Prior fast in den Wahnsinn getrieben habe. Das Klosterleben ist mir nicht bekommen. Um drei Uhr aufstehen im Winter, um zwei Uhr im Sommer, lieber Him-mel! Glaubt mir, ich brauche meinen Schlaf, und wenn auch alle Welt sagt, dass Trägheit eine Sünde ist, so halte ich dagegen, dass man im Schlaf zumindest keine andere Sünde verüben kann. Die der Maßlosigkeit zum Beispiel. Ich muss gestehen, dass ich nicht selten vor das Kapitel trat, um kleinlaut zuzugeben, dass ich mich ebendieser schuldig gemacht hatte. Das Gemeine an der Buße ist ja, dass sie meist jene Gier zu beschneiden versucht, die die Sünde erst angerichtet hat. Leckst du heimlich am Honigtöpfchen, ist gleich mal einen Monat strenges Fasten bei Wasser und Brot angesagt. Und ich rede hier nicht vom feinen Weizenbrot, sondern von solch steinharten Laibern, dass sie unten so hart rauskommen wie man sie sich oben verzweifelt reinschiebt. Verzeiht, edle Dame, solche Worte, ich weiß, dass sie nicht für Eure Ohren bestimmt sind, aber …«
»Kannst du uns endlich erklären, was du von uns willst, Bruder Wunibald!«, fiel Balduin ihm schroff ins Wort. Judith hingegen brach in ein Lachen aus – ein ungewohnter, glucksender Ton, der sich aus ihrer Kehle schälte, alsbald freilich in ein Husten überging.
»Was hast du?«, fragte Balduin erschrocken.
Judith winkte ab. »Es geht schon!«, meinte sie heiser und mit gerötetem Gesicht, ehe sie sich wieder dem rundlichen Mönch zuwandte.
»Auf mich musst du bei der Wahl deiner Worte keine Rücksicht nehmen, Bruder Wunibald«, meinte sie leichtfertig. »Nichts Menschliches ist mir fremd. Ich darf davon ausgehen, dass du dein Kloster verlassen hast, ohne es dem Abt zu sagen?«
Der Mönch nickte kleinlaut. »Es war zu seinem Besten, das schwöre ich Euch. Eines Tages sagte er zu mir: ›Weißt du, Bruder Wunibald, wie ich mir die Hölle denke? Dass einer wie du neben mir hockt und mir keinen Augenblick Andacht und Stillegewährt, weil er sich ständig beschwert, dass er zu müde sei, zu hungrig und zu durstig, um auch nur eine Sache ordentlich zum Ende zu bringen. Ganz zu schweigen davon, dass dir immer irgendetwas weh tut, sodass man meint, du hättest die dreifache Menge der üblichen Glieder eines Menschen, die dich quälen
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