Das Geständnis der Amme
Begehren jemals so rastlos und beharrlich und nach Erfüllung lechzend würde anheimgeben können wie er. Doch sie schluchzte erneut, als ihr aufging, dass sie – wenn auch nur für diesen kurzen, gestohlenen Moment –die Ahnung kosten durfte, wie es denn wäre, ihn voll und ganz zu spüren.
Düster starrte Johanna vor sich hin. Sie saß weit genug entfernt von den Flammen wie stets, aber anders als sonst konnte sie in deren rotes Züngeln starren, ohne zu erschaudern. Das Feuerkratzte erstmals nicht an ihrer Seele, um jene Furcht und jenes Grauen zu entblößen, die dort in irgendeinem Winkel zerknüllt und vergessen herumlagen. Doch anstatt sich darüber zu freuen, dass ihr Gemüt ein wenig Heilung erfahren zu haben schien, ängstigte sie die eigene Benommenheit. Nicht mit Schicksalsergebenheit war diese verbündet – sondern mit Hoffnungslosigkeit. Als Balduin im Wald zu ihnen gestoßen war, hatte sie erwartet, das Schicksal würde für ihn entscheiden, ihn Judiths Fängen entreißen, ob er nun wollte oder nicht. Er freilich hatte sich dagegen aufgelehnt, hatte um Judith gekämpft, und ihr selbst war nichts anderes übrig geblieben, als seinem Befehl zu folgen und zurückzukehren zu Lothars Hof.
Und wie der Teufel oder dieses verfluchte Weib es auch immer eingefädelt hatten – am Ende war Judith hier erschienen, hatte berichtet, was geschehen war, und sie ebenso wie Joveta und Madal-gis vor die Wahl gestellt: Entweder sie folgte ihnen auf der langen, gefährlichen Reise nach Rom, oder sie kehrte zurück nach Laon.
Johanna zuckte zusammen, Schritte hatten sich ihr genähert. Noch als sie sich umdrehte, fürchtete sie, es könnte die geschwätzige Joveta sein. Doch es war nicht Joveta, sondern Madalgis, die schleichend auf sie zutrat.
»Nun«, sprach Johanna barsch, um darüber hinwegzutäuschen, dass sie erschreckt worden war, »hast du mir nicht gesagt, dass Judith Balduin nur benutzt – ihn aber letztlich fallen lassen wird? Pah! Dir ist genauso wenig wie mir entgangen, dass sie ihm eiligst nachgeritten ist, nachdem sie von seinem Verschwinden erfahren hatte.«
Madalgis lehnte sich an die Wand. Sie war dünner geworden – und zugleich geschmeidiger. Ihre Sturheit, ihr Drang nach oben und später ihre Verzweiflungen hatten ihr etwas Eckiges, Kantiges gegeben. Doch seitdem Johanna ihr in Senlis wiederbegegnet war, war es schwer, sie zu fassen, geschweige denn, sie zu durchschauen. Behände entglitt sie jedem Zupacken, um im nächsten Augenblick so starr wie ein abgeklärtes Weiblein zu stehen,das längst eingesehen hat, dass die Welt heftige Regungen nicht belohnt.
»Das hat sie nicht für ihn getan«, erklärte Madalgis ruhig, »sondern für sich selbst. Judith ist eine ehrenhafte Frau. Sie duldet nicht, dass ein anderer sich für sie opfert. Das heißt noch lange nicht, dass sie ihn liebt.«
»Das redest du dir ein!«, keifte Johanna, um gemäßigter hinzuzufügen: »Mir ist's gleich, was sie von ihm will und was sie über ihn denkt. Wenn nur er endlich sein Geschick von ihrem lösen würde!«
»Glaubst du ernsthaft, Balduin hätte etwas Besseres verdient?«
»Pah, was Besseres!«, stieß Johanna aus. »Sie ist die Tochter des Königs, sie ist selbst gekrönt worden, es gibt keine ranghöhere Frau! Nein, ich wünsche ihm nichts Besseres, ich wünsche ihm eine seines Ranges. Das ist die Ordnung, die Gott bestimmt hat.«
»So, so«, murmelte Madalgis. Es klang zustimmend, doch im nächsten Augenblick setzte sie spitz hinzu: »Ist das auch die Ordnung, nach der du stets gelebt hast?«
»Was meinst du damit?«
Madalgis ließ sich Zeit mit der Antwort, lächelte auf eine rätselhafte Weise. Johanna konnte nicht recht entscheiden, ob dieses Lächeln traurig oder verlogen war.
»Man weiß nicht viel über dich, Johanna«, setzte Madalgis schließlich an, »nur dass du einst, bevor du vor den Normannen geflohen bist, nicht mehr warst als ein Bauernweib. Und das wärst du geblieben, hätte man nicht dein ganzes Dorf totgeschlagen und verbrannt, und wäre da nicht der kleine Balduin gewesen, der eine Amme brauchte. Und jetzt … Nun sieh dich doch an: Jetzt sitzt du mit feinem Gewand im Hause eines Königs.«
Madalgis zuckte die Schultern, als wollte sie sich für ihre Worte entschuldigen, doch das Lächeln verstärkte sich.
»Wage es nicht, mich zu beleidigen!«
»Sag mir nur eins: In all den Jahren, da die einzige harte Arbeit, die du zu tun hattest, jene war, deine Kräuter anzupflanzen –und
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