Das Geständnis der Amme
und Staub mit sich kehrten, konnte ihnen nicht weiterhelfen, als sie nach einem einheimischen Führer fragten, der sie über die Berge begleiten würde.
»Hab ich nicht genug zu tun, euch frisches Fleisch zu braten?«, fragte sie mürrisch
Die Mahlzeit, die sie bei ihrer Ankunft bekommen hatten, war weder frisch gewesen noch, wenn man es genau betrachtete, gebraten – sondern verkohlt.
»Fragt nach einem gewissen Walaric«, schlug sie schließlich vor. »Der kennt vielleicht ein paar waghalsige Burschen, die selbst jetztim Winter nach drüben zu wandern bereit sind. Aber seht euch vor: Er wird euch allein für die Vermittlung so viel wie nur möglich aus der Tasche leiern.«
Genauso viel wie du für dein ranziges Fleisch, dachte Balduin, aber er sagte nichts.
Als sie später erneut am grauen Zeltlager entlanggingen, stießen sie nicht auf den gesuchten Walaric, sondern nur auf Trostlosigkeit. Die meisten Reisegrüppchen bestanden aus Mönchen. Nur einmal begegneten sie Menschen, die nicht mit grauen Kutten bekleidet waren, sondern mit prächtigen Pelzen. Balduin war verwundert, dass sie trotz ihres sichtbaren Reichtums im Freien hausten, doch kaum trat er zu ihnen, trafen ihn nicht nur üble Gerüche, sondern auch warnende Worte: »Kommt uns nur nicht zu nahe! Der Herr möge Euch davor hüten, mit der gleichen Geißel gestraft zu werden wie wir.«
Die Geißel war eine Krankheit, die diese armen Menschen in Form von schmerzhaften, an manchen Stellen des Körpers aufbrechenden Geschwüren schlug. Entweder, weil sie dort Heilung erhofften oder weil sie noch vor dem Tod ihre Sünden abbüßen wollten, waren die Unglückseligen auf dem Weg nach Rom.
»Wisst ihr, wo wir Walaric finden?«
Sie tauschten sich kurz untereinander aus, in einer Sprache, die Balduin nicht verstand. In der
Gallia
sprach man die
Lingua romana
oder einen ihrer Dialekte, doch hier im Süden begegnete er oft Menschen, die nur die
Lingua theotisca
beherrschten. Schließlich wurde ihm aber mit Gesten geantwortet, die jeder Mensch verstand: Schulterzucken und Kopf schütteln.
Da sie Walaric hier nicht finden konnten, zogen sich Judith und Balduin rasch zurück. Etwas wortreicher fiel die Begegnung mit einem Prediger aus, der hier sein Wort verkündete und nicht darauf achtete, dass niemand ihm lauschte. Balduin dachte zu-nächst, es wäre dessen Ziel, den Reisenden Mut zu machen, doch stattdessen rief er laut: »Nach Rom ziehen, wie gering der Nutzen! Den König, den du dort suchst, kannst du eher in dir selbst finden.«
»Wahrscheinlich wird er von einem hiesigen Bischof bezahlt, der nicht anerkennen will, dass jener von Rom der Größte unter ihnen ist«, bemerkte Judith trocken.
Balduin warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu. Sie stapfte zwar tapfer durch den Schlamm, schien aber noch erschöpfter als in den letzten Tagen. Ihr Gesicht kam ihm eingefallen vor, die Haut, die sich darüber spannte, gelblich, und sie hustete immer öfter und immer trockener.
Erstmals seit Beginn der Reise verließ ihn der Mut. Die Berge hatten sich zwar hinter dem Nebel verkrochen, aber wenn er in die schmutzig grauen Schwaden starrte und der stete Nieselregen sein Gesicht nässte, fragte er sich, wie sie die Alpenüberquerung jemals schaffen sollten.
Seufzend schlug er vor, ins Hospiz zurückzukehren, auch wenn er fürchtete, dass mehr als nur ein angebranntes Stück Fleisch und eine rauchige Stube notwendig waren, um sein Gemüt wieder aufzuhellen.
Doch noch ehe Judith ihm zustimmen konnte, ertönte von einem der regennassen Zelte eine Stimme.
»So, wie ihr ausseht«, bekundete sie, und sie klang an jenem trostlosen Ort unerwartet kräftig und lebendig, »so, wie ihr ausseht, braucht ihr meine Hilfe!«
Judith und Balduin fuhren herum. Ein kleiner, gedrungener Mann kam aus dem Zelt gekrochen und näherte sich ihnen nun mit schleichenden Schritten. Noch ehe Judith oder Balduin ihm auch nur zunicken konnten, traf sie ein Schwall an Worten, der dreist die Zustimmung voraussetzte, sie hörten ihm gerne zu.
»Dies ist ein trostloser Ort, nicht wahr? Und immer trostloser wird’s, wenn man auf die Berge starrt. Ich weiß, ich weiß, das ganze Leben hier auf dieser unwirtlichen Welt gilt als gefahrvolle Reise, aber zu Hause, in der heimatlichen Pfalz, ist’s doch gemütlicher, diese auszustehen, nicht wahr? Ihr, mein Herr, seht mir ja aus wie einer, der das viele Reiten gewohnt ist, am liebsten mit einer Waffe in der Hand. Aber glaubt mir, wenn Ihr
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