Das Geständnis der Amme
einer der verhassten Jagdhunde das gleiche Versteck aufgesucht hatte. Erst als das Donnergrollen leiser wurde, die Blitze weniger grell aufleuchteten und nur mehr das Prasseln des Regens zu hören war, hatte er sich umgeblickt und plötzlich in ein spitzes Gesicht mit braunem Fell und gelben Augen gestarrt. Es war der erste Moment gewesen, in dem er keine Angst vor Hunden zeigte –aber gelohnt wurde ihm das nicht.
»Ein Krieger kennt keine Furcht!«, hatte ihn Arbogast angeherrscht. »Wenn du dereinst in einer Schlacht für deinen König kämpfst, wirst du dann auch davonrennen?«
»Feigling, Feigling!«, hatten die Neffen des Grafen geschrien, wie sie es auch jetzt taten. Er wusste, dass sie Recht hatten, und dennoch bäumte sich etwas in ihm gegen die Strafe auf, die er ob seines weibischen Gebarens bekommen hatte.
Es macht keinen Sinn, dachte er, keinen Sinn, ein Schwert zu halten, bis man darunter zusammenbricht. Was hat das schon mit dem Gewitter zu tun?
Er kämpfte gegen das Verlangen an, es einfach hinzuschmeißen, anstatt darauf zu warten, dass es den zitternden Händen entglitt, und auch gegen den Wunsch, es bedrohlich gegen die Knaben zu schwingen. Dafür war er ohnehin zu schwach. Die Gefühllosigkeit in den Armen hatte sich langsam angekündigt, das Schwindelgefühl aber stieg ihm nun ganz plötzlich in den Kopf. Ihm war, als würde dieser sich vom restlichen Körper trennen, immer leichter werden, einfach gen Himmel steigen, bis ihn nichts mehr an diese Welt fesselte. Die Blicke der höhnischen Knaben sah er nur mehr wie durch einen Schleier. Die Erschöpfung,die Schmerzen, das Zittern der Arme – nichts schien mehr mit ihm zu tun zu haben.
Ich darf nicht ohnmächtig werden, dachte er. Ein Schweißtropfen hatte sich von der Stirne gelöst, war ihm in die Augen gefallen und brannte. Doch selbst das fühlte er kaum noch. Ich darf nicht ohnmächtig werden …
Er nahm nur noch wahr, wie Arbogast auf ihn zuschritt, das narbige Gesicht wie immer streng verzogen. Er konnte seinem Blick nicht standhalten. Noch ehe der Ausbilder ihn erreichte, krachte das Schwert auf den schlammigen Boden – und er mit ihm.
Als Balduin die Augen wieder aufschlug, schmerzte der ganze Rücken. Zuerst verstand er es nicht. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war das Gewicht, das er mit seinen Armen zu stemmen hatte, und wie sich diese am Ende ganz taub angefühlt hatten. Doch als er sich ächzend aufrichtete, fühlte er, wie sämiger Speichel über seine Lippen tropfte. Er wischte ihn ab, doch den säuerlichen Geschmack in seinem Mund konnte er nicht vertreiben. Als er auf seine Hand starrte, sah er, dass es nicht nur Speichel gewesen war, der über sein Kinn geperlt war, sondern auch Blut.
Arbogast hatte ihn verprügelt. Keine Stelle auf seinem Rücken war von seiner Peitsche verschont geblieben. Schläge mit dem Hanfstrick kannte er – nicht aber solche, die die Haut aufrissen und bis ins rohe Fleisch vordrangen. Jetzt wusste er auch wieder, dass die drei Neffen des Grafen begeistert zugesehen hatten und danach umso vergnügter den Anweisungen Arbogasts gefolgt waren, wonach nun Zielschießen mit Pfeil und Bogen angesagt war.
Als er sich erhob, biss sich Balduin auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien. Mühselig schleppte er sich einige Schritte – zunächst wahllos in eine Richtung, in der die Sonne nicht ganz so gnadenlos auf ihn herabstach, dann mit zunehmender Orientierung. Er war nicht weit von den Ställen entfernt, was hieß,dass Arbogast ihn genau dort hatte liegen lassen, wo ihn die Strafe für seine Feigheit und Schwäche ereilt hatte. Sämtliche Menschen des gräflichen Hofs hatten zuschauen können, aber sich wohl nicht dafür interessiert, genauso, wie sich jetzt niemand um den schmerzverkrümmten Jungen scherte.
Zu seinem körperlichen Elend kam Verbitterung. Nicht gerecht, dachte er, es war nicht gerecht, dass Arbogast ihn so zugerichtet hatte. Irgendwer müsste für ihn eintreten, irgendwer den herzlosen Mann zur Rede stellen. Er hatte sich doch alle Mühe dieser Welt gegeben, das Schwert zu halten!
Im Geiste ging er die Menschen durch, die er kannte und die ihn liebten.
Alpais war die erste, die ihm einfiel.
Würde die Frau des Grafen etwa zulassen, dass ein roher Mann ihn derart behandelte? Alpais war nie streng gewesen. Ihr oblag es seit einigen Monaten, ihm das Lesen und Schreiben beizubringen und noch dazu gutes Latein. Für gewöhnlich besuchten die Kinder aus adeligen
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