Das Geständnis der Amme
Familien zu diesem Zweck die »äußeren Schulen« der Klöster, doch die Mönche von Laon waren mit dem Bischof zerstritten, wohingegen sich der Graf wiederum dem Bischof verpflichtet fühlte. Außerdem, auch das hatte Balduin einmal jemanden sagen gehört, beherrschten die Mönche – wie leider so viele ihres Standes – kein gutes Latein mehr.
So war es eben Alpais, die den Psalter benutzte, um ihm die Buchstaben zu zeigen sowie kleine Wachstafeln, auf die er diese Buchstaben mit dem Schreibgriffel malen musste. Waren sie irgendwann schön genug, würde er auch erste übungen auf Pergament machen dürfen. Alpais war immer geduldig. Nie gab sie ihm zu verstehen, dass sie gar nicht seine leibliche Mutter war. Das Einzige, was Balduin an Alpais störte, war ihr Blick: Immer starrten ihre Augen ein wenig an ihm vorbei, als interessierte sie sich – trotz aller anderen Zeichen ehrlicher Zuwendung – nicht für ihn. Ob Alpais darum das Unrecht überhaupt sehen würde, das ihm zugestoßen war? Ob sie mit ehrlichem Entsetzen darauf antworten würde, bereit, Arbogast zur Rede zu stellen?
Nun, vielleicht sollte er eine andere Wahl treffen. Besser war es, zu …
Er hielt inne. Vom Stall her hörte er Stimmen, vertraute Stimmen. Zumindest eine von ihnen kannte er gut, wohingegen er die andere nur selten vernommen hatte. Sie gehörten zu zwei Männern, die eben auf den Hof traten, in ein Gespräch vertieft, so, dass sie ihn gar nicht bemerkten. Balduin kam langsam näher. Er schlich vorsichtig wie eine Katze, da ihm jeder Schritt wehtat, als würde man ein Messer in seinen Rücken stoßen.
Ja, von diesen Männern war Hilfe zu erwarten, in jedem Fall vom Grafen, der zwar daran schuld war, dass er sich überhaupt von Arbogast ausbilden lassen musste, der sich ihm aber bislang immer wohlwollend gezeigt hatte. Vielleicht würde auch der andere Mann ihm helfen, selbst wenn er sich unwillkürlich vor ihm duckte. Balduin wusste, dass dieser Audacer hieß und sein leiblicher Vater war, wenngleich er noch nicht herausgefunden hatte, was das im Genauen bedeutete. Die wenigen Male, da er mit Audacer zusammengetroffen war, hatte ihn jener missmutig und zugleich gelangweilt gemustert. Johanna hatte ihm damals erklärt, dass er sich das nicht zu Herzen nehmen solle, Audacer würde sich in Gesellschaft von Menschen nicht wohlfühlen, sondern sich lieber in den Wäldern herumtreiben, wo er dafür Sorge trug, dass es stets genügend Tiere zur Jagd gab. Im Grunde war Balduin immer erleichtert darüber gewesen, dass sich diese in finsteren Höhlen verborgenen Augen nicht auf seine Gestalt richteten, dass sich diese raue Stimme, die wie das Knarzen einer alten Eiche im Wind klang, nicht an ihn wandte, dass diese braunen, schwieligen Hände, die so stark schienen, als könnte dieser Mann eigenhändig ein Pferd in die Luft stemmen, nicht danach trachteten, ihn zu berühren. Erst in diesem Augenblick kam ihm der Gedanke, dass nicht nur er Audacer scheute, sondern gewiss auch die Neffen des Grafen, ja selbst der gestrenge Arbogast.
Und so überwand er sich, weitere dieser weichen, behutsamen Schritte zu tun, um näher an die beiden Männer heranzutreten.
Er hörte, was sie sagten, auch wenn er es nicht genau verstand.
»Welche Sorgen treiben Euch?«, fragte Audacer mit seiner grimmigen Stimme. »Sind es die Normannen? Oder dass die Brüder des Königs die Grenzen auch weiterhin nicht achten werden?«
»Du selbst hast mir doch schon vor Jahren gesagt, dass das eine mit dem andern zu tun hat«, antwortete der Graf. »Ein geschwächtes Tier wird leichter Opfer von Aasgeiern als ein gesundes.«
»Aber seit fünf Jahren herrscht Einigkeit unter den Söhnen von Kaiser Ludwig, Gott hab ihn selig. Nach der schrecklichen Schlacht von Fpntenoy hat Lothar den Krieg, den er gegen Ludwig und Karl führte, doch aufgegeben.«
»Ja, das hat er.«
»Und seitdem wagt niemand, an den Grenzen zu rütteln. Karl beherrscht das Land westlich von Scheide, Maas, Saône und Rhône. Ludwig jenes östlich von Rhein und Aare bis zu den Alpen. Und das Mittelreich mit Aachen und Rom, von der Provence bis Friesland, ist für Lothar bestimmt.«
»Der Friede mag jetzt gesichert sein, aber ist er das auch in Zukunft?«, fragte Graf Robert zweifelnd. »Das einst riesige Reich des Kaisers Karl ist bereits jetzt geteilt, doch wie wird es weitergehen, wenn jeder der drei Könige mehrere Söhne hat und diese ebenfalls ein Stückchen von der Macht haben wollen? Wie viele
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