Das Geständnis der Amme
noch, was dort geschehen ist.«
»Wie könnte ich es je vergessen? Aber was hat es mit dir und Judith zu tun?«
Lange schwieg Johanna. »Judith weiß es«, brach es schließlich aus ihr hervor. »Judith weiß, was ich getan habe …«
----
XXX. Kapitel
----
Rom atmete die Sanftheit der Orte, die nicht gegen raue Winter zu kämpfen haben, die Traurigkeit einer Ruine, die die Glanzzeit hinter sich weiß, und die Sehnsucht nach Menschen, die die zahlreichen leer stehenden Häuser mit neuem Leben füllen könnten.
Vielerlei Völker trafen hier zusammen und machten aus der Stadt ein Flickwerk aus feinstem Stoff, der jedoch längst beschmutzt war, aus einfachem Leinen, das sich als erstaunlich rissfest erwies, und neuen Nähten, die zu grob waren, um schön zu sein, aber sich als nützlich herausstellten. Die Menschen sprachen die unterschiedlichsten Sprachen – manche glichen einer süßen Melodie, andere bestanden aus groben Lauten, die diese zerhackten.
So war es auch in den vielen Herbergen und Oratorien rund um den Vatikan, wo Angelsachsen und Friesen, Franken und Langobarden Kost und Unterkunft in ihren eigenen
Scholae
fanden. Seit zwei Jahrhunderten, so wusste Bruder Wunibald zu berichten, der sich augenblicklich heimisch fühlte, strömten immer mehr Pilger nach Rom, um hier die sieben großen Basiliken zu besichtigen: San Giovanni in Laterano mit dem Papstthron, die drei Basiliken auf dem Esquilin, auch San Paolo fuori le Mura, San Sebastiano an der Via Appia und San Paolo, die in Richtung Ostia lag. Und natürlich den Petersdom.
In dessen Nähe fand ihre Reisegruppe Unterschlupf in einem der Hospize, die für die Franken gedacht waren. Judith und Balduin gaben sich mit falschem Namen aus; sie waren nicht sicher, ob sich die Geschichte ihrer unstandesgemäßen Ehe bis hierherverbreitet hatte und womöglich Feindseligkeit schuf. Die Mönche, die sie aufnahmen, schienen sich ohnehin nicht sonderlich um das Geschick der Neuankömmlinge zu scheren. Sie wiesen ihnen einen Platz im Gästesaal zu, wo sie auf Strohsäcken zu schlafen hatten – gewiss voller Flöhe, wie Johanna missmutig bemerkte und Judith mit stoischer Gelassenheit hinnahm –, und tischten einen sämigen Eintopf auf, in dem lasches, bräunlich verkochtes Gemüse schwamm und einige wenige Bissen zähes Fleisch. Balduin verschlang ihn so schnell wie nur möglich, indessen Judith ohne Appetit in der gräulichen Brühe rührte.
»Wir können hier nicht lange bleiben«, stellte Balduin fest. Es waren seit langem die ersten Worte, die er zu ihr sprach.
Judith nickte, indes sie sich durch das Haar fuhr, von dem sie eben den Schleier gelöst hatte. Noch nie war sie sich so staubig vorgekommen, so übervoll mit Sand.
»Ja«, stimmte sie zu, »wir müssen bald vor den Papst treten.« Danach zuckte sie die Schultern. Bislang war es lediglich beschlossene Sache, dass sie von Papst Nikolaus den Segen für ihre Ehe erbeten wollten, nicht jedoch, auf welche Weise dies anzustellen sei.
»Ich kenne einige Klöster«, kam Bruder Wunibald zu Hilfe, der, gleichwohl er in einem Benediktinerkloster unterzukommen gedachte, sich diese Mahlzeit, und schmeckte sie auch noch so fade, nicht hatte entgehen lassen wollen. »Und dort wird man mir sagen können, wie man im Lateranpalast, wo der Papst residiert, am besten vorstellig wird. Doch ihr solltet euch nicht entgehen lassen, diese Stadt zuvor besser kennenzulernen. Ich kann sie euch gerne zeigen!«
Balduin starrte ihn nachdenklich an. Noch auf dem Pferderücken unterwegs hatte ihm die Reise nichts anhaben können, doch jetzt fühlte er sich ausgelaugt von den langen Wochen auf der Straße. »Geh du mit ihm, Judith«, erklärte er schließlich. »Und ihr, Johanna und Madalgis, auch, wenn ihr Rom sehen wollt. Ich werde in der Zwischenzeit zusehen, wo ich einen Stall für die Pferde finde. Ich fürchte, einer der frommen Pilger könnte inVersuchung geraten, sie zu stehlen, solange sie draußen auf der Straße angebunden sind.«
Wieder nickte Judith. »Lass uns morgen besprechen, was wir dem Papst sagen wollen«, fügte sie hinzu. Kurz trafen sich ihre Blicke, und die Spannung der letzten Wochen wich ein wenig von ihnen. Judith nahm nun endlich einen vorsichtigen Bissen von dem Eintopf.
Johanna hingegen schob ihn eben mit missmutiger Miene fort. »Was für ein Fraß!«, sprach sie ihrer aller Gedanken laut aus und setzte nicht minder übellaunig dazu: »Rom kann mir gestohlen bleiben. Schlimm genug ist’s, heute
Weitere Kostenlose Bücher