Das Geständnis der Amme
wurden Madalgis’ eben noch schroffe Züge weicher. Sie wandte sich der Königin zu, senkte die Lider, sodass die gelblichen Augen nicht länger funkelten.
»Es heißt, dass wir morgen Rom erreichen«, stellte sie fest, ohne sonderliche Erleichterung zu bekunden, die Reise überstanden zu haben.
»über den Mons Aureus … ja«, bekräftigte Judith. Ohne es zu wollen, schickte sie ein Seufzen hinterher. Gleich, wie es zwischen ihr und Balduin stand – nun wartete der herausforderndste Teil der Reise auf sie, der zwar nicht länger Gefahr für den Leib,jedoch umso mehr für ihre Seelen bereithalten würde. Konnten sie Papst Nikolaus nicht für sich einnehmen und dessen Anerkennung ihrer Ehe nicht durchsetzen, würden sie ihr Leben lang Verdammte und Vertriebene bleiben.
Brügge, A.D. 864
»Diese Schuld«, fragte Balduin wieder und wieder, als reichte es nicht, die Worte nur einmal auszusprechen, nun, da an das lang Verschwiegene gerührt worden war. »Hat diese Schuld, ob derer du sterben musst, mit deinem Kind zu tun?«
Mühselig und zugleich widerstrebend suchte Johanna nach den geeigneten Worten. Sie fühlte keinen Drang mehr, ihr Geheimnis zu hüten, hätte es ihm sogar sorglos anvertraut. Dennoch zögerte sie. Jedes Wort, so wusste sie, konnte das letzte sein. Doch das Bekenntnis ihrer Untat sollte nicht ihr Vermächtnis sein – vielmehr das Opfer, das sie dafür erbrachte.
»Balduin, es ist nicht mehr wichtig …«, setzte sie an.
»Doch!«, rief er entschlossen. »Du hast nie über dein Kind gesprochen, zumindest nicht mit mir. Ich wusste, dass du eins geboren hast, sonst hättest du mich seinerzeit nicht als Amme nähren können. Ich wusste, dass es tot sein musste, sonst wärst du nicht alleine nach Laon geflohen. Aber … aber ich habe mich niemals getraut zu fragen, was geschehen ist … Einmal habe ich Alpais, des Grafen Weib, danach gefragt. Aber du kennst Alpais. Sie war eine gute und fromme Frau, aber sie ließ die Menschen nicht an sich heran. Gesetzt, sie hätte mir überhaupt zugehört –ich bezweifle, dass du ihr irgendetwas von deiner Vergangenheit anvertraut hast.«
Johanna musste lächeln, gleichwohl es steif geriet. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Geheimnis auch auf Balduins Seele gelastet hatte, dass er jemals danach getrachtet hatte, es zu lüften.
»Alpais hat mir am meisten damit geholfen, dass sie sich nicht für mich interessierte«, sagte sie. »Sie gab mir alles, was ich brauchte, das verlangte die Nächstenliebe von ihr – aber ich selbst war ihr reichlich egal … und das Kind, das ich geboren hatte, bevor ich deine Amme wurde, auch.«
»Was ist mit diesem Kind geschehen?«
Johanna fühlte, wie ihr ein Tropfen Speichel über die Lippen trat und sich schließlich als langer Faden über das gefühllose Kinn spann.
So soll er mich nicht sehen, dachte sie. Und zugleich fragte sie sich, ob der Verdacht, sie könnte in irgendeiner Weise an ihrem Kind schuldig geworden sein, ihm zum ersten Mal kam. Wenn er schon als Knabe mehr von dessen Schicksal hatte erfahren wollen – hieß das nicht, dass er schon damals misstrauisch geworden war?
Aber vielleicht war er zu höflich, zu ängstlich, zu blind für Misstrauen. Mit Joveta war es dasselbe. Ständig hatte sie damit gerechnet, dass ihn die Erkenntnis träfe, was damals in den Alpen tatsächlich geschehen war, noch in den Tagen, als sie die schroffe Bergwelt längst hinter sich gelassen hatten und nach Rom gekommen waren. Doch nie hatte er einen bösen Verdacht bekundet, nie die Frage gestellt, warum eine junge Frau im Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte am helllichten Tag in die Tiefe stürzte. Im Augenblick des Sturmes war es ja verständlich – aber im Sonnenlicht?
Freilich, zunächst war die Reise zu entbehrungsreich, als dass man einem ihrer Opfer gedenken wollte. Und später brach dieser Zwist zwischen ihm und Judith aus. Die heimliche Schadenfreude, die Johanna darob empfand, war nicht frei von tiefer Erleichterung gewesen, dass Balduin solcherart davon abgelenkt war, in der Vergangenheit zu bohren.
»Was ist mit deinem Kind?«, fragte Balduin.
Johanna fühlte, wie der Speichelfaden in ihrem Hemd versickerte.
»Judith und ich … Judith und ich haben darüber gesprochen.«
»Worüber? über dein Kind? Das kann ich nicht glauben, du hast dich doch stets geweigert, ein Wort mit ihr zu wechseln.«
»Das galt für lange Zeit … doch nicht für immer. In Rom hat sich alles verändert. Du weißt doch
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