Das Geständnis der Amme
betrachtete die beiden Mädchen.
»Gisla und Ermengarda«, stellte Angilberga sie vor. »Leider bislang ohne Bruder. Was die Position des Kaisers gehörig schwächt. Er hätte es im Benevent und in Salerno leichter, bestünde die Aussicht, dass es auch nach ihm eine starke Hand gibt, die das Reich eint. Eigentlich … eigentlich müsste er doch Mitleid mit seinem Bruder Lothar haben, der darauf angewiesen ist, dass Hugo als sein legitimer Sohn gilt.«
»In dieser Familie hackt einer dem anderen das Auge aus«, sagte Judith rasch.
»Verstehe mich nicht falsch. Ich finde, du hast es richtig angestellt, gute Judith … Ich meine, Lothar zu erwähnen und dessen leidige Eheangelegenheit. Verzeih, wenn ich auch das – und nicht nur deinen Streit mit Balduin – belauscht habe. Aber die Macht der Frauen liegt im Zuhören, nicht im Reden.«
»Und warum nicht das eine tun und das andere nicht lassen?«, fragte Judith und überlegte, wie sie die andere loswerden könnte, um sich endlich auszuruhen.
»Nun, du hast das richtige Argument gewählt, und ich denke, das wird auch der Grund sein, warum Kaiser Ludwig euch schließlich doch nach Rom ziehen lassen wird. Ich für meinen Teil werde ihm gut zureden.«
Judith verkniff es sich, ihr dafür zu danken. »Im Dunkel der Nacht, nehme ich an«, meinte sie lediglich bissig.
»Die Nacht ist unsere Zeit, Judith. Wenn wir es denn geschickt anstellen.«
Judith wollte ihr widersprechen, doch in dem Augenblick nickte ihr Angilberga bereits flüchtig zu, nahm dann die Töchter bei der Hand, eine links und eine rechts, und schritt mit ihnen so lautlos von dannen, wie sie gekommen war. Ihr Gekicher verhallte an den steinernen Wänden, als Judith ihnen nachblickte.
Ob er nun selbst zu dem Schluss gekommen war oder ob tatsächlich Angilbergas Zureden es bewirkt hatte – in jedem Fall ließ Kaiser Ludwig sie nach einer Woche Weiterreisen. Sie überquerten bald nach Piacenza den Po mit einer Fähre, kamen nach Bologna und von dort in die unwirtliche Gegend der Apenninen. Ein ähnlich zähes Schweigen lag über ihnen wie einst im Aostatal. Damals war es von Sorgen und Scheu erfüllt gewesen, jetzt lebte es von Trotz, Missgunst und Schadenfreude.
Bruder Wunibald versuchte vergeblich, die drückende Stimmung aufzuhellen, doch mehr als Höflichkeitsfloskeln konnte er weder aus Judith noch aus Balduin herauslocken. Anstatt den ersten Schritt zu einer Aussprache zu tun, verschanzte sich Judith hinter ihrer ausdruckslosen Miene, und Balduin ritt meist gleichauf mit den Soldaten, die Kaiser Ludwig ihnen zu ihrem Schutz mitgegeben hatte. Auch abends, wenn sie entweder in einem Kloster einkehrten oder Zelte errichteten, galten seine Worte meist den Männern. Nicht lange hatte es gedauert, und er hatte ihren Respekt erworben, weil er kundig von Waffen, Pferden und Schlachten sprach. Er teilte zwar nicht die Begeisterung, die bei den anderen in der Stimme mitklang, wenn ruhmreiche Taten von einst heraufbeschworen wurden, doch gerade in Judiths Nähe zögerte er nicht, mit den seinen zu prahlen.
Die Reise über den Apennin war weniger mühselig als über die Alpen, aber dennoch nicht ohne Anstrengung. Die Wälder wurden niedriger; die grünen Nadel- und Laubbäume schwanden immer mehr aus der Landschaft, und an ihrer Stelle wuchs die viel erbärmlicher und kleiner wirkende Macchie. Rau und sandig war der Wind, der wehte, uneben und steinig die Straßen, auch wenn einer der Truppe mehrfach Kaiser Ludwig rühmte, der seit
Jahren sämtliche alten Straßen und verfallenen Brücken erneuern ließ, desgleichen wie er Pfalzen, die einzustürzen drohten, neu befestigte. Nicht minder energisch ging er gegen andere Missstände vor: gegen den verheerenden Straßenraub, dem schließlich auch die Reisegruppe fast zum Opfer gefallen war, und gegen Grafen, die rücksichtslos arme Bauern und Pächter ausbeuteten, ihren König dann aber um seinen Anteil an der Steuer betrogen. Dies war ein Thema, das kurzzeitig für Gesprächsstoff sorgte, denn nicht nur Balduin, sondern auch Judith stellte manche Frage zur Regierungsweise ihres kaiserlichen Vetters. Doch nach einigen Tagen flaute auch dieses Interesse ab und ergab sich der Müdigkeit.
Eine einzige schien von der beschwerlichen Reise nicht gezeichnet. ähnlich wie Bruder Wunibald Kraft aus dem Wissen bezog, nunmehr im Süden zu verweilen, ergötzte sich Johanna an den Spannungen zwischen Judith und Balduin. In Laon hatte ihr das Alter zugesetzt, nun
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