Das Geständnis der Amme
denn er ist wie alle anderen Männer.«
Unbehaglich verkreuzte Judith die Hände über dem Leib. Es wäre ein Leichtes gewesen, Madalgis von sich zu weisen, aber irgendwie schaffte sie es nicht. Etwas Lähmendes ging von ihr aus. Ob Balduin sich ähnlich ohnmächtig gefühlt hatte in ihrer Gegenwart?
»Er hat dich nicht verdient«, murmelte Madalgis. »Das habe ich von Anfang an gewusst.«
»Und nun? Reicht es dir, Recht behalten zu haben, um glücklich zu sein?«, gab Judith zurück.
Reichte es ihr?, fragte sie sich im Stillen.
Ehe Madalgis ihr eine Antwort gab, trat Judith an das Fenster, das nun, im Sommer, weit geöffnet stand und ihr den Blick auf den Hof gewährte. Eben ritten Pferde in dessen Mitte, und während Judith anfangs noch glaubte, es sei Gerold, der von einemAusritt zurückkäme, erkannte sie schließlich eine vertraute Gestalt. Sie weitete die Augen. Mit jedem hätte sie gerechnet, nur nicht mit … ihm.
»Mein Gott!«, entfuhr es ihr.
»Wer ist es?«, fragte Madalgis. »Ist es Balduin?«
Judith schüttelte kaum merklich den Kopf. Der unerwartete Gast war nicht allein gekommen. Eben fuhr auch ein Wagen in den Hof, begleitet von weiteren Reitern.
»Es ist nicht Balduin, es ist …«
Sie brachte den Satz nicht zu Ende, ließ Madalgis einfach stehen und stürmte nach unten. Ihr Herz pochte aufgeregt, sie wusste nicht, warum – allein ob der Überraschung? Oder weil sie sich freute? Doch gab es einen Grund, sich über ihn zu freuen?
Als sie den Hof erreichte, waren Gerold und Ovida bereits hinausgetreten. Tiefrot vor Aufregung war Ovida in eine Verbeugung versunken, indessen Gerold nicht wusste, wie er dem Gast gegenübertreten sollte. Als er Judith erblickte, schien er sichtbar erleichtert.
»Judith … meine Königin«, begann er, »sieh nur, wer …«
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn. Dann trat sie auf den Gast zu. Er streckte ihr beide Hände entgegen, schien sie vorbehaltlos begrüßen zu wollen. Nur sein Lächeln schien ihr nicht ehrlich, sondern verbittert.
»Ich freue mich, dich zu sehen … Ludwig … liebster Bruder«, brachte sie mühsam hervor.
Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie die hässliche Ansgar dem Gefährt entstieg.
»Ist es nicht 1-1-1-lustig?«, stammelte Ludwig wie gewohnt, doch der vermeintliche Frohsinn, den er da benannte, erreichte seine Augen nicht. »Ist es nicht 1-1-1-lustig, dass der K-K-König ausgerechnet mi-mi-mich mit einer Botschaft zu d-dir schickt.«
»Welcher Botschaft?«
»Be-be-begrüße Ansgar und meinen k-k-kleinen Sohn. Dann richte ich sie d-d-dir aus …«
Eyvindrs Verwandter stürzte nicht einfach auf ihn los; er blieb abwartend stehen und gönnte Balduin die Zeit, seine Worte zu verstehen. Fast tonlos hatte er seinen Racheschwur bekundet, und in dem Schweigen, das folgte, blieb seine Miene ausdruckslos, auch als Johanna schließlich einen entsetzten Schrei ausstieß.
Balduin regte sich nicht.
Eyvindrs Bruder.
Ehe er sich ihm vorgestellt hatte, hatte er vermeint, einen Geist vor sich zu sehen – einen gealterten Geist. Mit den blauen Augen, der hohen Stirne, der geraden Nase glich er Eyvindr bis aufs Haar. Doch die Haut des Bruders war viel dunkler, gegerbter, seine Hände waren nahezu Pranken. Mochte in ihren Adern auch das gleiche Blut fließen – in seinen war es kräftig und lebendig, während Eyvindr immer den Eindruck vermittelt hatte, er besäße zu wenig davon. Nie hatte ihn das als Schwächling ausgewiesen – jedoch als Menschen, dessen Leib nicht ausreichend Ballast war, um ihn gänzlich auf Erden zu bannen.
»Du bist mir also gefolgt, um mich zu töten«, stellte Balduin ruhig fest. Vor jeder Schlacht gab es einen Moment, da sämtliche Gedanken und Gefühle wie weggefegt waren. »Die große Stille« hatten er und seine Kameraden diesen Zeitpunkt genannt, da sich sämtliche Sinne auf den Kampf einstellten, auf die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Nie hatte sich Balduin ähnlich befreit gefühlt von allen Kümmernissen und Sorgen wie in diesen Augenblicken, aber zugleich auch nie so betäubt.
Sein Blick löste sich von dem blonden Mann und suchte hinter ihm nach weiteren Männern. Er vermutete, dass sie sich noch im Schatten der Bäume versteckten, jedoch auf ein Zeichen ihres Anführers hin hervorstürzen würden, um ihn mit Pfeilen zu durchbohren.
»Nein«, sagte da Eyvindrs Bruder, »du musst keinen Hinterhalt fürchten. Ich bin allein gekommen. Es hätte keinen Wert, wenn nicht ich selbst dich
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