Das Geständnis der Amme
Lebewohl. Doch sein Blick war bereits tot, war tot wie der von Eyvindr, als er auf ihn eingeschlagen hatte, versagte sich bereits der Welt, ehe Balduin ihm diese Welt nehmen konnte.
Balduin hob sein Schwert, schloss die Augen. Ganz gleich, ob dieser Blick ihm antwortete oder nicht, er würde ihn nicht ertragen können, nicht in diesem Moment, da er zuschlug. Doch die Schwärze, die ihn einhüllte, ließ ihn nicht minder zaudern. Er fühlte Einsamkeit in ihrer schlimmsten, schmerzlichsten, erstickendsten Form.
»Ich kann nicht«, murmelte er, »ich kann nicht.«
Er öffnete die Augen, sah in Eysteinns Gesicht, ließ sein Schwert sinken. Eysteinn blickte nicht länger erloschen, vielmehr erstaunt – und auch entschuldigend. Warum bittet er mich um Verzeihung, dachte Balduin, wenn ich ihm doch das Leben geschenkt habe?
Er hörte Johanna schreien, spitz und lang, dann sah er, wieEysteinn sich duckte, den Abstand zwischen sich und seinem Schwert, das ihm entglitten war, überbrückte, es zu fassen bekam. Balduin wusste, dass er zurückspringen musste, sich irgendwie schützen, doch er blieb steif stehen, ließ die eigene Waffe fallen.
Jetzt war er nicht mehr einsam, jetzt waren sie wieder zu zweit in der ansonsten völlig leeren und stillen Welt. Balduin lächelte, als Eysteinn ihm das Schwert mit aller Macht in die Brust rammte.
Das Blut war warm, er lag in dessen Lache, vielleicht hatte sich auch seine Blase entleert. Der Tod ist niemals sauber.
»Balduin …«, Johanna schluchzte neben ihm, »ach Balduin …«
Er fühlte ihren Schoß, sein Kopf war daraufgebettet; er hatte immer gedacht, sie wäre hart und sehnig, doch es fühlte sich weich an.
»Balduin … bitte … bleib bei mir. Wir werden dich nach Hause schaffen, so lange musst du durchhalten.«
Ich bin zu Hause, dachte Balduin, ich bin doch schon zu Hause.
Er hörte Befehle. Johanna teilte sie aus, sie galten den beiden Jungen, die betroffen auf ihn herabblickten. Eine Trage, sie befahl ihnen, eine Trage zu bauen, aus Ästen und Leder …
»Ich will nicht mehr kämpfen«, murmelte Balduin, »ich will keine Kriege mehr führen.«
»Ich weiß.«
Johanna beugte sich über ihn, küsste ihn auf die Wange. Er spürte, wie ihre Wimpern flatterten, vielleicht war es auch nicht Johanna, die ihn küsste, sondern Judith, obwohl Judith doch nicht hier war und sie ihn verachtete.
»Judith …«, stammelte er.
»Ich weiß …«, murmelte Johanna. Die Wärme kühlte aus, machte dem Schmerz Platz, reißendem Schmerz, als würden die Zähne eines wilden Tiers in seinen Leib schlagen. Er war unerträglich, dieser Schmerz.
Ehe die Schwärze kam, suchte er nach Eysteinn. Doch jener war verschwunden, nachdem er getan hatte, was er tun musste. In einem letzten Anflug von Bedauern dachte Balduin, wie schade es wäre, ohne Eysteinn zu sterben … und ohne Eyvindr.
Drei Tage gelang es Ovida, nur erlesene Speisen aufzutragen und dafür sämtliche Vorräte zu plündern. Am vierten Tag gingen ihr die Ideen aus, was sie dem Königssohn und seiner Familie an Köstlichkeiten vorsetzen konnte. Händeringend besprach sie sich mit dem Koch, um dann einsehen zu müssen, dass sie kein frisches Fleisch mehr hatten, sondern nur mehr getrocknetes, und dass von den Gewürzen lediglich noch Pfeffer, Minze und die Säure von Trauben da waren, jedoch kein Ingwer oder Galganet. Mit hochrotem Kopf – er hatte sich seit Ludwigs Anwesenheit kaum abgekühlt – klagte sie Judith ihr Leid.
»Nun und?«, fragte Judith kühl. »Ich würde dir raten, dich zu schonen, anstatt den ganzen Tag umherzulaufen und dich für jemanden wie Ludwig abzumühen …«
Ovida riss überrascht die Augen auf. »Aber er ist dein Bruder!«, rief sie entsetzt. »Und er ist der Sohn des Königs!«
»Glaub mir«, gab Judith spöttisch zurück, »mein Vater würde dir ganz gewiss nicht zürnen, wenn du seinem Sohn steinhartes Brot vorsetzen würdest. Ach Ovida, jetzt sieh mich doch nicht so erschrocken an! Der König hat meinen Bruder doch nicht zu mir geschickt, weil dies eine Ehre ist. Er tat es, um mich auch noch im Augenblick der angebotenen Versöhnung zu schmähen und zu beleidigen. Seitdem Ludwigs Aufstand missglückt und er von Robert von Anjou geschlagen worden ist, lebt er in Meaux kaum besser als ein Gefangener. Weißt du, dass er jetzt, in diesen Tagen, das erste Mal wieder die Stadt verlassen hat? Mein Vater wird lange überlegt haben, wie er ihn und mich am deutlichsten demütigen kann, und
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