Das Geständnis der Amme
tötete.«
»Du hättest es bereits tun können«, gab Balduin zurück. »Duhättest mir einen Pfeil oder eine Lanze in den Rücken jagen können.«
»Auch dann hätte es keinen Wert.«
Zum Zeichen, dass er meinte, was er sagte, schwang er das eine Bein über den Pferderücken, sprang behände herab. Obwohl bewaffnet und mit einem Schild ausgestattet, war er nun in der unterlegenen Position. Würde Balduin jetzt das Schwert ziehen und auf den Kopf einschlagen, so hätte er Chancen, ihn zu töten.
»Du hast großes Vertrauen in meine Ehre«, meinte Balduin. »Und das, obwohl du mich für den Mörder deines Bruders hältst … Nun, ich bin es.«
»Eyvindr war wehrlos«, gab der blonde Krieger zurück. »Auch wenn du dich überlegen fühlst, solange du auf dem Pferd sitzt –ich bin das nicht.«
Er schnalzte mit der Zunge, woraufhin das Pferd zurück in den Schatten des Waldes trabte.
Wie lange war es her, da er diesem Mann zuletzt begegnet war? Als dieser nachts das Lager überfiel und ihn beinahe getötet hätte – wenn Suidger, der rothaarige Knabe, ihn nicht davor bewahrt hätte, ebenjener, der ihn später ein zweites Mal errettet hatte, aus den Händen von König Karls Männern. Es schien in einem anderen Leben passiert zu sein. Nur Eyvindrs Gesicht, seine sanfte Stimme, die Zeichnungen, die er in die Erde geritzt und die seine Familie in der Heimat gezeigt hatten – auch diesen Bruder –, waren ihm so gegenwärtig, als wäre er erst gestern mit ihm zusammen gewesen.
»Eyvindr hat meinen Vater getötet«, sagte Balduin heiser.
»Er hat nur seine Heimat verteidigt.«
»Es war zuerst unsere Heimat.«
»Das behauptest du.«
»Willst du schwatzen oder kämpfen?«
Balduin hörte ein Rauschen in seinem Kopf, sämtliches Blut schien zusammenzuströmen. Ohne zu überlegen, schwang auch er sich vom Pferd.
»Nein, Balduin!«, es war Johanna, die da kreischte. »Tu das nicht! Du bist ihm nichts schuldig! Er … er hat mir gestern etwas vorgemacht, er hat gesagt …«
»Ich habe nichts gesagt, was eine Lüge war«, unterbrach sie der blonde Mann. »Ich habe nur Fragen gestellt.«
»Balduin, du darfst nicht …!«, schrie sie wieder.
»Lass es gut sein, Johanna.«
Das Rauschen in seinem Kopf versiegte. Sämtliches Blut schien in seine Hände, seine Beine zu rasen, verbreitete dort ein Kribbeln. Vielleicht verschleierte es auch seinen Blick. Als er seine Augen gen Himmel hob und sich nicht sicher sein konnte, ob er jenen Anblick jemals wieder erleben würde, da wähnte er das Dach der Welt blutrot, obgleich die Abendsonne noch fern war.
Der Kampf ist ein Tanz, er ist ein Spiel, vergiss das nie.
Balduin hatte Arbogast immer gehasst, aber in diesem Augenblick war es ausgerechnet die Erinnerung an dessen Stimme, die sich als Einzige aus der großen Stille löste. Damals, als jener diese Worte sprach, hatte er sie nicht wirklich begriffen.
Es war zu einem Zeitpunkt gewesen, als seine Muskeln nicht mehr schmerzten wie am Anfang und er viel weniger blaue Flecken abbekam – dort, wo Gerolds Holzschwert ihn getroffen hatte oder die Hiebe von dessen Brüdern. Er war bald stark genug geworden, um sich dagegen zur Wehr zu setzen, es ihnen heimzuzahlen, grimmig und verbissen. Da hatte ihn Arbogast eines Tages zur Seite genommen, durchaus mit Anerkennung in der Stimme, aber zugleich mit Tadel: »Du machst dich gut, Junge, du hast den Willen zu siegen. Doch du bist zu verkrampft, du denkst ständig darüber nach, wie du deine Feinde bezwingen kannst. Aber der Kampf ist ein Tanz, er ist ein Spiel, vergiss das nie. Erst wenn du kämpfst ohne zu denken, wenn du mit listiger Taktik deinen Gegner zermürbst ohne ihn dabei zu hassen, einfach nur, weil es dir in Fleisch und Blut übergegangen ist – dann erst wirst du wahre Siege erringen.«
Sie umrundeten sich mit lautlosen Schritten, weich und geschmeidigwie die einer Katze. Fest umklammert hielt Balduin den Schild in der einen, das Langschwert in der anderen Hand, aber er hob weder das eine noch das andere, machte weder Anzeichen anzugreifen noch, sich zu verteidigen.
»Du kennst meinen Namen«, sagte Balduin, »und ich habe den von Eyvindr gekannt. Wie heißt du?«
Seine Stimme klang gepresst, aber noch war er entspannt genug, klar zu reden.
»Wird es dir den Kampf leichter oder schwerer machen?«, fragte der andere. Seine Augen nahmen sämtliche Bewegungen wahr.
»Ich möchte wissen, durch wessen Hand ich falle. Oder wer durch meine stirbt.«
»Eysteinn. Mein
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