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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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Name ist Eysteinn.«
    »Hört auf, ich bitte euch, hört auf!« Wieder schrie Johanna dazwischen, auch wenn einer der Knaben sie längst zurückgezerrt und von der Kampfesstätte entfernt hatte.
    Das war das Letzte, was Balduin hörte, dann wurde es wieder still um ihn, so totenstill, dass er nicht einmal den Klang des Eisens vernahm, als ihre Schwerter schließlich aufeinanderprallten. Beim ersten Mal war es ganz schwach, als würde der Lehrer dem Schüler nur zeigen, wie ein Schlag zu führen sei, ohne es in aller Härte zu exerzieren.
    Doch der zweite Zusammenstoß war bereits so stark, dass Balduin die Hand schmerzte, weil er den eigenen Schwertknauf verbissen umklammerte. Kleine Wellen schienen von diesem Stoß auszugehen, liefen ihm durch die Arme, in seine Brust, erschütterten ihn dort. Er suchte den Blick seines Feindes, suchte darin nach einem Zeichen, ob er Gleiches auch erlebte, dieses Starke, Absolute, Unbedingte. Dieses Entweder-Oder, das den anderen nicht nur zum möglichen Mörder oder Opfer machte, sondern zu einem Seelenbruder. So nah war er noch nie einem Menschen gestanden. So allein war er noch nie mit einem gewesen. Höchstens mit Judith … aber selbst Judith hatte sich ihm in solchen Momenten nicht restlos hingegeben, hatte etwas zurückgehalten, war ihm fremd geblieben.
    Eysteinn gab alles von sich. Alle Wut, alle Rachegelüste, alle Todesangst, alle Hingabe.
    Der nächste Stoß fiel nicht ganz so stark aus. Balduin entging ihm, indem er sich behände um die eigene Achse drehte, haarscharf an der Schwertspitze vorbei. Er konnte den kalten Windhauch spüren, den sie verursachte, aber sie ritzte seine Haut nicht auf. Er bewegte sich auf Zehenspitzen, tänzelnd, wie Arbogast immer gesagt hatte, suchte dann wieder festen Tritt, um zum Gegenangriff anzusetzen – es war sein erster. Eysteinn parierte gut, nickte irgendwie anerkennend und duckte sich gekonnt.
    Balduin hörte seinen eigenen Atem, keuchend und tief – oder war es der seines Feindes? Verschmolzen sie ineinander, atmeten sie aus einer Brust? Immer rasselnder wurde das Geräusch, zunehmend schweißnass sein Griff, und doch fühlte er keine Erschöpfung – nur Lust, seltsame Lust. Nicht am Drauflosschlagen, nicht am Klirren der Schwerter, nicht an der Wucht, die im ganzen Körper nachbebte, sondern an diesem Gleichklang, diesen meisterhaften Figuren, die sie ausführten und die nur gelangen, weil der eine vollkommen auf den anderen einging.
    Zurücktreten, abwarten, den anderen messen, zum Sprung ansetzen, das Schwert heben, es niedersausen lassen, auf Gegenwehr stoßen, sich drehen oder ducken, wieder zurückweichen.
    Endlos schien sich jener Kreis an Taten aneinanderzureihen, er öffnete und schloss sich immer wieder aufs Neue, als folgte der Lauf der Welt keinem anderen Takt als diesem. Als wäre das der Herzschlag, der die Mutter Erde am Leben hielt.
    Und dann plötzlich, fast zu unauffällig, um jenes nachhaltige Gleichmaß zu stören, stolperte Eysteinn. Nicht über Balduin, nicht über die eigenen Füße, sondern über eine Wurzel, die sich ihm in den Weg gelegt hatte. Er suchte mit dem anderen Bein festen Halt, strauchelte jedoch umso mehr und brach schließlich auf die Knie.
    Balduins Entsetzen war so tief, als wäre er selbst gefallen. Er blickte auf das Schwert, Eysteinns Schwert, das ihm aus der Hand gerutscht war, über den erdigen Boden schlitterte, nichtweit, aber weit genug, dass er es nicht ergreifen und sich verteidigen konnte.
    Wieder trafen sich ihre Blicke, doch diesmal war ihm der von Eysteinn nicht vertraut, sondern fremd. Der Bann war gelöst, Balduin konnte wieder hören, vor allem Johannas Stimme, wie sie verzweifelt schrie: »So töte ihn doch, sonst wird er es tun!«
    Balduin lauschte verwirrt, gewahrte nun erst, dass er seine eigene Schwertspitze gegen die Kehle des anderen hielt. Er musste nur zustechen, nicht einmal sonderlich fest, dann würde er sie ihm aufgeschlitzt haben. Er konnte sich nicht erklären, wie sie in jene Lage geraten waren. Jeder Wimpernschlag während des Kampfes war ihm durch und durch gegangen, jede Geste, jedes Muskelspiel, jeder einzelne Stoß. Doch warum der andere nun schutzlos war und er sein Leben in der Hand hielt, deuchte ihn befremdend. Das war kein Tanz mehr. Das war kein Spiel.
    »So töte ihn doch!«, schrie Johanna.
    Balduin suchte etwas in Eysteinns Blick, suchte nach Zustimmung, nach Aufgabe, nach Todesangst, suchte etwas, das nach Abschied klang, einem würdevollen

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