Das Geständnis der Amme
sie an Balduin richtete. Jener zuckte nur mit den Schultern, war selbst schon vom Pferd gestiegen und reichte ihr nun die Hand. Sie nahm sie, aber suchte vergebens nach seinem Blick.
»Ich kümmere mich um die Pferde«, war das Einzige, was er schließlich kundtat.
Judith seufzte, als sie ihm nachblickte. In der Zeit vor seiner Verwundung war das Schweigen zwischen ihnen zwar nicht minder schneidend gewesen, aber damals hätte er genügend Zorn gezeigt, um sich zu verbitten, wie ein Stallknecht behandelt zu werden. Nun schien ihm alles gleich zu sein.
Judith hatte große Mühe, sich ihre triste Laune nicht anmerken zu lassen, sondern ein gleichgültiges Gesicht aufzusetzen und forsch in Richtung des Hofs zu schreiten. Sie gewahrte, dassMadalgis ihr folgte, und auch wenn es ihr schwerfiel, die Gesellschaft des Mädchens zu ertragen, war sie froh darüber, den vielen Blicken, die sie nun trafen, nicht alleine ausgeliefert zu sein.
Viele waren ihr fremd, manche kannte sie – so auch den Sene-schall, der für die Tafel des Königs zuständig war und der nun an ihr vorbeihuschte, als hätte er sie nicht bemerkt, desgleichen den
Camerarius,
den Kämmerer, der für die Unterbringung des Königs Schatzes verantwortlich war. Judith hatte ihn als ebenso ernsthaften wie geschwätzigen Mann in Erinnerung, der sie als Kind stets darüber belehrt hatte, welche Pflichten die Inhaber der Hofämter zu übernehmen hatten und welche nicht. Er selbst wurde von ihrer Mutter, der Königin, beaufsichtigt – regelmäßig musste er ihr einen Überblick über den Schatz verschaffen, der von Residenz zu Residenz transportiert wurde. Für die Tafel hingegen war der Seneschall allein verantwortlich, und die Königin wiederum hatte dafür zu sorgen, dass sich beim Mahle alle Versammelten ruhig und gesittet benahmen. Die Erziehung der Kinder lag ausschließlich in ihrer Zuständigkeit – zumal der Vater so oft in einer anderen Pfalz weilte.
Nun, heute zeigte der
Camerarius
keine Bereitschaft, mit ihr zu reden, sondern zog rasch den Kopf ein und flüchtete.
Nicht anders verhielt sich ein Grüppchen Männer, auf die Judith zuschritt – ihrer Kleidung nach zu schließen einige Adelige, die eben tuschelnd und argwöhnisch Balduin gemustert hatten, als er die Pferde in den Stall geführt hatte. Ein wenig Neid stand darin, versprach doch die Ehe mit einer Königstochter Glanz und Gloria – und ebenso viel Spott, weil es in diesem Fall ganz anders lag: Jene Königstochter wurde selbst nicht in Ehren und Würden empfangen, sondern mit eisigem Schweigen.
Zunächst antwortete Judith mit einem ebensolchen Schweigen und einem starren Blick. Doch als sie schließlich die Eingangshalle betrat und sich immer noch fühlte, als wäre sie unsichtbar, riss ihr die Geduld.
»Welches Gemach habt Ihr mir und meinem Gemahl zugeteilt?«,fuhr sie eine der erstbesten Mägde an, die sich dort blicken ließ.
Das arme Mädchen errötete, schien sich weder im Klaren zu sein, wer diese fremde, hoheitsvolle Frau war, noch was es falsch gemacht hatte. Verschreckt sprang es zur Seite und lief fort, sodass Judith schon dachte, sie hätte es vertrieben. Doch wenig später kehrte das Mädchen mit einem Mann an ihrer Seite wieder, der Erste, der Judith nicht nur schweigend musterte, sondern sogar eine Verbeugung andeutete und mit ihr zu reden bereit war.
»Wie kann ich Euch zu Diensten sein?«
Judith wiederholte ihre Frage, und diesmal hatte sie sich an den Richtigen gewandt. Offenbar hatte sie den
Mansionarius
vor sich, jenen Mann bei Hof also, der im Wissen um die Verweildauer der Gäste die Zimmer zuwies.
Judiths Anspannung löste sich ein wenig, als sie ihm nach oben folgte, auch wenn ihr immer noch aufdringliche Blicke folgten und der Mann zu keinem Austausch von Höflichkeiten bereit war. Alles mochte sie ertragen, bekam sie nur endlich einen Raum für sich, wo sie durchatmen und neue Kräfte sammeln konnte, um Balduin aus dieser lähmenden Gleichgültigkeit zu reißen – so wie sie es nun schon seit vielen Tagen versuchte. Vergebens bislang. Aber sie war fest entschlossen, nicht aufzugeben.
Sie hatten eine der Türen erreicht, als der
Mansionarius
sich mit einem Nicken verabschiedete, sich umdrehte und verschwand, ohne diese zu öffnen. Nun gut, diesen Affront mochte sie verwinden, wenn nur …
Judith riss die Augen auf. Madalgis hatte die Tür für sie geöffnet, war vor ihr eingetreten und zurückgewichen, ebenso wie Judith es nun tat.
Grässlicher
Weitere Kostenlose Bücher