Das Geständnis der Amme
zwingen.
Balduin lauschte gespannt. Die Reise hierher, die vielen Eindrücke, die sie brachte – auch wenn dazu der frostige Empfang gehörte –, hatten in ihm ein gewisses Maß an Erregung gezeugt. Doch als er nichts Neues mehr hörte und nun darauf warten musste, dass ein Gemach für Judith und ihn bereitet wurde, kehrte die Erschöpfung zurück, noch besitzergreifender als zuvor. Denn sie brachte nicht nur jene Dumpfheit, die sämtliches Trachten wertlos erscheinen ließ, sondern auch Niedergeschlagenheit.
Er setzte sich auf eine der Truhen, in denen Judiths und sein Gepäck verstaut war, weil ihm das lange Stehen zu viel Kraft abforderte.
»Es wird gut«, sprach plötzlich eine Stimme zu ihm. »Du wirst sehen, es wird gut.«
Er hatte nicht gehört, dass Johanna sich ihm genähert hatte und sich nun vorsichtig neben ihm niederließ. Seit seiner Verwundung hatte er stets das Gefühl gehabt, dass sie nicht von seiner Seite wich, aber er konnte sich nicht erinnern, in den letzten Tagen mit ihr geredet zu haben.
»Wie kommst du darauf, dass es so einfach ist?«, fragte er verwirrt.
»Du lebst«, murmelte sie, »und das ist das Wichtigste. Der König wird dich empfangen, sodass …«
Er ging nicht darauf ein. »Sie hasst mich, weil ich ein Krieger bin«, unterbrach er sie. »Und gerade ihretwegen muss ich nun einer sein. Wenn … wenn es sie nicht gäbe, dann wäre ich der Einladung des Königs nicht gefolgt.«
»Hättest du lieber für Rorik gekämpft?«
»Nein, das auch nicht. Ich hätte mich zurückgezogen, und sei’s in ein Kloster, um nichts mehr mit diesem steten Krieg zu tun zuhaben. Aber … aber wenn ich mich Karl nicht beuge, bringe ich Schande über sie.«
»Wie merkwürdig«, sagte Johanna leise. »Du bringst ein Opfer für sie – und schenkst ihr doch seit deiner Genesung keinen freundlichen Blick. Was immer du für sie tust, hat keinen Wert, wenn sie nicht davon weiß.«
Er blickte auf. »Sie kann mir nicht verzeihen, was ich mit Ma-dalgis …« Er brach ab.
»Sie muss dir verzeihen … aber du ihr offenbar auch.«
Schweigend ergriff Johanna Balduins Hand. Sie hielt sie nicht lange. Kaum hatte sie sie bekräftigend gedrückt, hörten sie Schritte, die sich näherten. Balduin rechnete damit, dass Judith zurückkehrte, an der Seite des
Mansionarius.
Doch es war ein fremdes Gesicht, das sich ihnen mit deutlichem Widerwillen näherte.
»Balduin?«, fragte der Mann herablassend, wiewohl es den Anschein hatte, dass er durchaus wusste, wen er vor sich hatte. Nicht zufällig verzichtete er wohl auf jede Anrede.
»Der bin ich«, entgegnete Balduin und erhob sich schwer.
»Kommt mit mir«, erklärte der Mann sichtlich ungeduldig. »Der König erwartet Euch.«
Judith musterte die Frau, die den Lagerraum betreten hatte. Sie war sich nicht sicher, wann sie sie zum letzten Mal gesehen hatte, nur, dass deren Blick auch damals nicht unbedingt freundlich ausgefallen war. Ihre Augen waren von verwaschenem Grau, ihre Wangen spitz und eingefallen und ihre Gesten von unerträglicher Langsamkeit. Darin war sie Judith immer ein Vorbild gewesen – in dieser Würde, mit der sie über die Unbill des Lebens hinwegblickte, in dieser kühlen Verächtlichkeit, mit der sie die Nase rümpfte, in diesem Willen, sich notfalls zwar zu beugen, aber sich niemals brechen zu lassen. Doch als Judith ihr nun Auge in Auge gegenüberstand, vermeinte sie sich selbst in ihrer hässlichsten, unerträglichsten, abstoßendsten Weise zu erkennen. Sie setzte alles daran, nicht zu erschaudern.
»Guten Tag, Mutter«, sagte sie ruhig.
Königin Irmintrud trat näher. Sie war eine Frau von etwa vierzig Jahren, geboren in Orléans, früh mit dem Kaisersohn verlobt. Es war eine passende Verbindung, wenngleich sich ihr Vater zeitweise nicht sicher gewesen war, ob sich diese Ehe tatsächlich für die Tochter lohnen würde und es Karl gelänge, sich gegen die Übermacht der älteren Brüder durchzusetzen.
Irmintrud musterte ihre Tochter regungslos. Nur leicht, ganz leicht hob sich ihre Augenbraue. »Du besitzt tatsächlich die Dreistigkeit, hier zu erscheinen«, sagte sie schließlich. »Ich hatte gehofft, du besäßest genügend Schamgefühl, deinen … Mann allein kommen zu lassen.«
Judith lag es auf der Zunge aufzubegehren. Dass der Vater sie ebenso an den Hof gebeten hatte wie Balduin. Dass sie vieles gelernt hatte – nur nie, dass eine ihres Ranges kneifen durfte. Doch dann dachte sie, dass ihre Mutter es gewiss darauf angelegt
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