Das Geständnis der Amme
gemacht«, sprach Johanna müde und ausgelaugt. »Aus Weihrauch und Harz, durchmischt mit Ringelblume, Arnika und Hopfen. Wir müssen sie so lange auf seiner Wunde belassen, bis sie ausgehärtet ist. Und wenn es immer noch nicht hilft … nun, dann könnten wir eine Paste aus Schafdung, Käseschimmel und Honig machen. Ich habe gehört, sie soll Wunder wirken. Ich habe desgleichen gehört, dass manche Mönche Pilze kennen, die den Eiter besiegen. Aber ich weiß zu wenig darüber.« Johanna machte eine Pause. »Mehr fällt mir nicht ein. Sein Leben liegt in Gottes Hand.«
Eine Hand lag plötzlich auf seiner Stirne, kalt und dünn. War es Bruder Ambrosius, der für ihn betete? Oder Graf Robert? War jener aus dem Kloster zurückgekehrt, um an seinem Krankenbett zu wachen?
Nein, es war kein Bett, sondern ein Floß, das unruhig auf der See umhertrieb, und jene See roch nach Schwefel und war heiß wie Feuersglut.
»Ich will nicht, dass du ihn siehst, Ovida. Das ist schlecht für dein Kind. Du darfst dich nicht aufregen.« Es war Gerold, der sprach, von allen am nüchternsten. Sein Schatten fiel auf ihn. »Gib nicht auf, Balduin«, sagte er, nicht sonderlich erschüttert, nicht sonderlich ermutigend.
Im Hintergrund hörte er wieder die Frau weinen, das musste Ovida sein, Gerolds Gattin. Judith klang nicht im Mindesten aufgewühlt, sondern sprach ruhig zu Johanna: »Ich habe Ludwig weggeschickt. Es würde Balduin keine Kraft geben, ihn ausgerechnet jetzt zu sehen.«
»Das ist gut«, erwiderte Johanna, »hat er … hat er …?«
»Ob er noch etwas gesagt hat?« Judith klang bitter. »Er hat gesagt, dass unser Vater offenbar wieder reichlich Glück habe und sich eines seiner größten Probleme von allein lösen würde.«
»Er meinte Balduin?«
»Ja«, gab Judith zu, und ihre Stimme wurde erstickend leise. »Ludwig hat all sein Mitleid an sich selbst verbraucht. Es ist keins mehr da für den Rest der Menschen. Er hat gefragt, ob es tatsächlich ein Normanne gewesen sei, der auf Balduin losgegangen ist. ›Bist du dir sicher‹, so hat er gefragt, ›dass dieser Mann nicht von unserem Vater beauftragt wurde?‹«
»Unmöglich«, gab Johanna zurück.
Unmöglich, dachte Balduin. Er wälzte sich stöhnend, fühlte Hände, die ihn beruhigend streichelten, die ihn festhielten, damit er seine Wunde nicht aufkratzen konnte. Judiths Hände waren nicht dabei.
Unmöglich. Es war kein Mann des Königs, der ihm nach dem Leben trachtete. Es war Eyvindr, der zurückgekehrt war.
Nach einigen Tagen stand das schaukelnde Boot plötzlich still. Es war auf Grund gelaufen, doch er fühlte nicht das glühende Wasser über sich zusammenschlagen, sondern nur Nebel, grauen, düsteren Nebel. Er hüllte ihn ein, kroch über seine Haut, nicht heiß wie das Fieber, nicht eisig wie das Frösteln, das jenem folgte, nur betäubend. Er fühlte keine Schmerzen mehr, doch mit ihnen war auch alles andere gegangen, Furcht und Sehnsucht, Hoffnung und Trauer, Dankbarkeit und Aufbegehren.
»Wo bin ich?«, fragte er.
Er lallte, als hätte er zu viel Wein getrunken. Sein Kopf fühlte sich auch so an.
»Balduin …«, erstmals hörte er nicht nur Johannas Stimme, sondern konnte auch ihr Gesicht sehen. Sie war viel bleicher, als er sie in Erinnerung hatte, weißer und runzeliger. Sie war nicht nur eine ältere Frau, sondern eine Greisin geworden. »Balduin … siehst du mich?«
»Wo bin ich?«, fragte er wieder, obwohl er es wusste. Er war in Laon. Er hatte überlebt.
Der Nebel wurde dichter. Selten hatte ihn etwas so gleichgültig gestimmt. Was zählte es schon, was nutzte es ihm?
»Du bist zu uns zurückgekehrt«, stammelte Johanna, »ich dachte schon, wir hätten dich verloren. Dein … dein Herz hatte aufgehört zu schlagen.«
Überrascht hörte er in sich hinein, versuchte, auf das Pochen zu lauschen. Er fühlte es nicht, nichts fühlte er. Vielleicht irrte sich Johanna, und er lebte gar nicht, hatte nur eine Hülle hinterlassen, und andere mussten entscheiden, was damit zu tun sei.
»Ich bin … ich bin so dankbar!«
Sie sprang auf, und ihre Regungen wirkten jünger und frischer, als es ihr uraltes Antlitz verhieß.
»Wohin gehst du?«
»Ich … ich muss Judith sagen, dass du wieder zu dir gekommen bist.«
»Warte!« Er hustete, spürte tief hinein in seinen Leib, dort, wo der Schmerz lauerte, auch wenn dieser Schmerz sich für den Moment zusammengeringelt hatte wie eine schlafende Katze.
»Was hast du, Balduin?«
Der Nebel verhüllte
Weitere Kostenlose Bücher