Das Geständnis der Amme
König einlenkte. Doch der Preis, den er dafür zu zahlen hatte, fühlte sich an wie ein unerträglich schweres Gewicht, das seine Schultern niederdrückte. Er gewahrte nicht, dass einer der Männer ihm zunickte, er möge sich nun erheben. Das tat er erst, als ein Mönch dicht an ihn herantrat, ein Evangeliar in der Hand, auf das er den Lehnseid schwören musste. Unscharf erinnerte er sich daran, dass es beim letzten Mal eine Reliquie gewesen war.
Der Mönch sprach ihm die Worte vor, und er wiederholte sie, ohne dass sie seinen Geist ausfüllten. Jener kreiste um die stetig gleichen Gedanken. Ich wollte nicht mehr gegen die Normannen kämpfen – und jetzt muss ich es mein Leben lang tun. Aber wozu? Wozu? Für wen? Für Judith?
»Durch diesen Eid verspreche ich, meinem Herrn, dem sehr frommen König Karl, Sohn von Kaiser Ludwig und Kaiserin Judith, treu zu sein, wie von Rechts wegen ein Vasall seinem Herrn zur Erhaltung seines Reiches und zur Wahrung seines Rechtes treu sein soll. Und ich werde und will diesen von mir geschworenen Eid halten, so wie ich es weiß und verstehe, künftig von diesem Tage an, wenn mir Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, helfe.«
Nach seinem Schwur herrschte langes Schweigen. Der Mönch schloss das Evangeliar, der König blickte ausdruckslos, nur Hinkmar von Reims trat schließlich mit verschlagenem Grinsen vor.
»Nun, Graf Balduin von Flandern«, erklärte er höhnisch, »Ihr seid nun in dem Rang, dass Euch der König die Eheschließung mit seiner geliebten Tochter Judith gestattet. Sie wird morgen stattfinden.«
Balduin hörte, wie hinter ihm Raunen aufbrandete, und konnte trotz aller Beherrschung nicht verhindern, dass ihm Röte ins Gesicht schoss. Das also hatte sich Hinkmar als größte Demütigung ausgedacht: dass sie noch einmal heiraten und somit vor aller Welt beweisen mussten, dass sie bislang ohne rechtmäßigen Bund zusammengelebt hatten.
»Ich war der Meinung«, fuhr Hinkmar fort, »dass Ihr zuvor einige Monate Kirchenbuße für Eure Unzucht leisten solltet. Doch die meisten meiner Amtsbrüder waren gnädig gestimmt und haben darauf gepocht, dass die Ehe nun ohne Aufschub zu vollziehen sei. Nur solcherart fände Eure Sünde ein Ende und würde nicht auch noch vermehrt.«
Hinkmars Grinsen schwand von seinen Lippen; er setzte sich wieder.
Balduin wartete darauf, dass nun Judiths Mitgift benannt würde, doch der Notar, der ihn hierhergebracht hatte, trat an seine Seite und winkte ihm zu gehen. Mochte er dem König auch abgerungen haben, ihm Land zu geben – darunter solches, welches er nie gewollt hatte –, offenbar würde er nun mit Judith über lange Jahre gezwungen sein, in Armut dort zu leben.
Wozu?, dachte er wieder, als er durch das Spalier zurückging. Wozu … wenn Judith mich doch verachtet …
Diesmal kämpfte er nicht gegen seinen Schwindel. Er gab ihm nach und stützte sich gegen eine Säule, kaum dass er den Saal verlassen hatte. Immer noch hielt das Raunen hinter ihm an, und er glaubte Gelächter daraus zu hören. Er griff sich an die Wunde, und als er die Hand zurückzog, war sie blutig.
Judith merkte erst, dass sie niedergesunken war, als Johanna sie fand. Sie musste sich wohl an die Mauer gelehnt haben, nachdem ihre Mutter sie alleine gelassen hatte, ihre Knie mussten nachgegeben haben. Sie hielt ihren Kopf darin vergraben und blickte nur kurz auf, als Johanna zu ihr trat.
Sie war sich nicht sicher, ob jene sie belauscht hatte; eigentlich war ihr das auch gleich.
»Ich will nicht so werden wie sie … wie meine Mutter Irmintrud«, murmelte sie. »So verhärmt, so missgünstig, so voller Neid … so unglücklich. Ja, ich will es nicht werden. Aber vielleicht bin ich es schon … bin ich es schon lange.«
Johanna hockte sich neben sie, sehr langsam, sehr umständlich, es tat ihr sichtlich in den Gelenken weh. »Weißt du, dass auch Balduins Vater Audacer seinen Sohn hasste?«, fragte sie. »Dass er ihm nicht vergeben konnte, dass seine Frau bei Balduins Geburt starb?«
»Balduin ist anders als ich … Er ist manchmal trotzig, gekränkt, aber nie so hart. Ich glaube, er kann es viel klarer benennen und zeigen, wenn ihn etwas verletzt.«
»Das stimmt nicht«, sagte Johanna. »Als er vom ersten Kampf mit den Normannen wiederkehrte, da war er wie tot.«
»Ich weiß.«
»Er hat dir erzählt, was damals geschehen ist?«
Judith blickte hoch. Obwohl ihre Feindseligkeit verloschen war, fürchtete sie immer noch, in Johannas Gesicht auf den
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