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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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waren. Über einer blauen Tunika mit goldenen Mustern trug er einen violetten Mantel mit edelsteinbesetztem Goldrand. An den Schultern hing lose befestigt ein Zobelpelz. Sein rötlicher Bart war unter dem Kinn sorgfältig zurechtgestutzt, während er links und rechts herabhing, kaum dichter als das schüttere Haupthaar, auf dem eine goldene Krone saß, die ebenfalls mit Edelsteinen verziert war.
    Balduin erwartete von ihm den gleichen Blick wie von den anderen – abschätzend, misstrauisch, verächtlich. Doch König Karls Augen waren so ausdruckslos, als wüsste er nicht, wen er vor sich hatte und dass dieser sich gegen ihn aufgelehnt hatte. Balduin hatte nicht den Eindruck, dass sich irgendetwas in der Miene des Königs verändert hatte, als er vor ihn getreten war. So gelangweilt, wie der König verharrte, war es ungewiss, ob er ihn mit deutlicher Missachtung zu strafen suchte oder ob er einfach abgestumpft war vom Zeremoniell des Tages. Lange und ermüdend musste dieses oft sein, vor allem, wenn er nicht im kleinsten Kreis heimliche Entscheidungen traf, sondern Vasallen empfing oder Männer dazu machte – einige von ihnen zu
Vassi casati,
nämlich zu jenen Vasallen, die für ihre Treue ein Lehen erhielten, andere zu
Vassi non casati,
die keinen eigenen Besitz hatten und für ihren Kriegsdienst direkt vom Herrscher versorgt werden mussten.
    Balduin zögerte, den Blick vom König zu wenden, versuchte aber aus den Augenwinkeln heraus zu erkennen, wer sich in seiner unmittelbaren Nähe befand. Da waren weitere Geistliche und Notare und ein Bischof, der als Einziger saß, obendrein an der rechten – bevorzugten – Seite des Königs: Hinkmar von Reims, mit seiner schnabelförmigen Nase, der einst Judiths ersten Fluchtversuch aus Senlis vereitelt und sie beide nach dem zweiten exkommuniziert hatte. Auch er blickte Balduin gleichgültig an wie einen Fremden.
    Balduin konnte sich trotz seiner Schmerzen eines kurzen Triumphes nicht erwehren. Noch mehr als König Karl hatte Hinkmar wohl damit zu hadern, dass er – sich dem Willen des Papstes unterordnend – das verirrte Paar wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen musste. Balduins Triumph verlosch freilich augenblicklich, als er begriff, dass Hinkmar alles tun würde, um diesen Akt so erniedrigend wie nur irgend möglich ausfallen zu lassen. Er wurde in dieser Erwartung nicht getrogen, denn nun begann einer der Notare zu sprechen oder vielmehr: zu befehlen.
    Balduin möge dem König die Hände reichen, hieß es, ehe auch nur ein einziges erklärendes Wort fiel, zu welchem Zweck er hier war. Und das bedeutete wiederum, dass König Karl ihm zwar sein Lehen zurückgeben würde, aber nicht bereit war, ihn mit einem Grußwort willkommen zu heißen.
    Zögernd rutschte Balduin auf seinen Knien zum Thron hin und verbiss sich ein Stöhnen, als sich die Wunde wieder unangenehm zusammenzog. Hoffentlich blutete er nicht. Kalt waren seine Hände, als er sie dem König reichte – als Zeichen, dass er sich vollends in seine Verfügungsgewalt gab, ähnlich so, wie die Heiligen im Himmelreich Gott dienten. Die Finger des Königs legten sich auf seine, aber drückten nicht zu. Balduin spürte seine Haut nicht, denn er trug weiße Handschuhe. Bis auf jene Regung blieb Karl starr, sein Blick ausdruckslos. Nur ein klein wenig hoben sich seine Augen, um über Balduin hinwegzublicken. Noch erwartete Balduin, dass der König nun selbst das Wort an ihn richtete, doch als hinter ihm die gleichgültige Stimme des Notars fortfuhr, wurde ihm klar, dass Judiths Vater nicht zu ihm sprechen würde.
    Das Gebiet wurde genannt, das künftig sein Lehen ausmachen würde, und mit den Namen jedes Ortes, der dessen Grenzen festlegte, wuchs Balduins Unbehagen. Er hatte damit gerechnet, wieder Graf von Flandern zu werden – ein zwar umkämpfter, aber doch nur schmaler Küstenstreifen. Jetzt freilich erfuhr er, was sich König Karl – oder vielleicht war es auch Hinkmar von Reims – für ihn ausgedacht hatte: etwas, was nach großer Gnade klang –und zugleich nach bitterster Strafe. Denn zu dem bisherigen Gebiet um Brügge und Sluis kamen überraschend jenes um die Stadt Gent und viele andere Orte, deren Namen er noch nicht einmal kannte. Zahllos waren die Bedrohungen und Feinde, die ihn dort erwarten würden – vom nördlichen Meer kommend oder von Friesland, wo sich Rorik gewiss etwas einfallen lassen würde, um sich für den Bruch ihres Abkommens zu rächen. Mit Letzterem hatte er erreicht, dass der

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