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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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zum Saal hochstiegen, der sich hier – anders, als er es kannte – im ersten Stock befand. An jeder Ecke standen kleine Grüppchen, einige von ihnenwaren wohl die
Consiliarii,
die engsten Berater des Königs; andere wurden durch ihre Kleidung und ihre Tonsur als Geistliche ausgewiesen. Von ihnen allen blickten die Kapläne der Hofkapelle am gelangweiltesten, waren ihnen doch kaum andere Dienste zugewiesen als die Berechnung des Ostertermins und die Vorbereitung kirchlicher Feiertage.
    Ehe sie den Saal erreichten, musste Balduin innehalten, um den Schmerz in seiner Wunde zu beschwichtigen. Widerwillig blieb auch der Mann, der ihn hierhergebracht hatte, stehen. Balduins Blick fiel auf dessen tintenbefleckte Fingerkuppen. Offenbar war der Mann einer der Notare, die Briefe und Urkunden des Königs schrieben oder aber kurze Notizen in Form der »Tironischen Noten« machten – jener Schrift, die viel schneller geschrieben werden konnte als die üblichen Minuskeln, jedoch nur für einen kleinen Kreis von Eingeweihten lesbar war.
    »Wenn … wenn der König mich sehen will«, setzte Balduin störrisch an, »dann sollte mich doch meine Frau begleiten, oder nicht?«
    Der Mann runzelte verächtlich die Stirne und lachte leise auf. Erst jetzt ging Balduin auf, dass es wohl kein Zufall gewesen war, dass er ausgerechnet dann zu König Karl geholt wurde, als Judith sich auf die Suche nach dem
Mansionarius
begeben hatte. Was immer ihr Vater damit bezweckte, wenn er nur ihn, nicht aber seine Tochter empfing, war wohl als Affront gedacht.
    »Den König lässt man nicht warten«, zischte der Mann. »Er empfängt unzählige Besucher – oft bis spät in die Nacht. Also, kommt!«
    Er sprach es, wandte ihm naserümpfend den Rücken zu und betrat den Saal. Balduin folgte ihm mit schlimmen Schmerzen und nicht minder quälendem Unbehagen. Hatte er eben schon gemeint, er könne sich nicht bloßgestellter fühlen, merkte er nun, dass die größte Prüfung noch bevorstand. Im Hof und in den Gängen waren die Grüppchen zufällig beisammengestanden, um ihn zu belauern. Hier jedoch bildeten die Versammelten ein Spalier, einzig zum Zweck, jede seiner Gesten zu beobachten. Der Wegzum Thron, der an der Stirnseite des Saales stand, schien ihm ewig, und nachdem er die ersten Schritte in diese Richtung gemacht hatte, gewahrte er, dass ihm – von der Galerie aus – noch mehr Leute zusahen.
    Er musste seine Zähne zusammenbeißen, auf dass in seiner Miene kein Zeichen von Schmerz oder Schwäche abzulesen war. Diesen Triumph mochte er ihnen nicht gönnen – jenen »Großen« des Reichs, den Adeligen mit dem meisten Besitz und Einfluss, die viele Monate des Jahres am Königshof weilten, um sich ebenso argwöhnisch zu beäugen wie den Herrscher selbst. Wer sich hier einen Moment der Unaufmerksamkeit erlaubte, musste nicht selten erleben, wie aus vermeintlicher Treue erbitterte Gegnerschaft wurde, und wer immer dem König seine Gunst bewies, tat es selten aus Liebe zu ihm, sondern nur, um sich vor seinen Nachbarn oder Verwandten als einer auszuweisen, der einflussreich war.
    »Eine Schlangengrube«, hatte Judith einmal über den Königshof geurteilt, und jetzt, da die Anwesenden dicht an ihn herantraten, den Weg bis zum Thron wohl absichtlich verengten – er konnte nicht nur ihre Blicke, sondern auch ihren heißen Atem spüren –, musste Balduin an jenes harsche Urteil denken und ihr Recht geben.
    Die Erinnerung daran, wie er einst vor vielen Jahren schon einmal vor dem König gestanden und aus seiner Hand ein Lehen erhalten hatte, verblasste. Was immer sich damals zugetragen hatte, es war gewiss nicht so quälend und menschenreich vonstatten gegangen wie heute.
    Balduin hoffte, dass ihm inmitten all der angespannten Leiber nicht der Schweiß ausbrechen würde. Er kämpfte darum, seinen Atem ruhig zu halten. Endlich wurde die Menge lichter; er hatte des Königs Thron erreicht und führte den obligatorischen Fußfall aus, erleichtert, nicht länger gehen zu müssen. Dann erst hob er vorsichtig den Blick.
    König Karl saß mit gespreizten Knien und leicht zurückgesetzten Beinen, die eng mit roten Bändern – den
Fasciolae
– umwickelt waren. Die Schuhe hatten – wie die eines jeden Herrschers – eineaufwändige Goldverzierung und ein purpurn scheinendes Innenfutter. In der rechten Hand hielt er das lange Zepter, in der linken ein weiteres Insignium seiner Herrschaft: die Heilige Lanze, in der Teile eines Nagels vom Kreuz Christi eingeschlossen

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