Das Geständnis der Amme
dass er dergleichen hörte – wohl, weil es für einen Krieger nicht wichtig war.
»I-i-i-i-ich weiß, ich weiß«, sagte der Mann, und die Röte der Begeisterung breitete sich sichtbar in seinen Zügen aus. Bei genauerer Betrachtung wirkten sie nicht einfach nur abstoßend, sondern irgendwie auch verhärmt. »Es heißt, man st-st-stützt sich vor allem auf Mar-Mar-Marcellus Empiricus und Oribasias. Aber noch mehr als d-d-d-die Medizin interessiert mich die Phi-Phi-Philosophie.«
»So wisst Ihr sicher, dass Johannes Scotus, den man Eriugenanennt, weil er im fernen Irland geboren wurde, hier lehrt. Leider ist er im Augenblick nicht anzutreffen, weil er sich wie so oft im Gefolge des Königs aufhält, aber er kommt regelmäßig nach Laon, um seine Schüler zu unterweisen, vor allem in der Logik, der Grundlage aller Künste.«
»D-d-d-das We-We-Wesen Gottes entzieht sich g-g-g-grundsätz-lich jeder affirmativen Au-Au-Aussage«, stammelte der Mann und spielte damit offenbar auf eine Meinung des Gelehrten an. »Es w-w-würde mich freuen, einige seiner Schüler kennenzulernen, s-s-so denn noch Zeit bleibt. Für w-w-w-wenig bin ich meinem Vater so dankbar wie dafür, dass er Sco-Sco-Scotus so gefördert hat und dass dieser die Schule von La-La-Laon zu neuem Leben erwecken konnte. Ist es nicht so, dass die Ge-Ge-Gelehrten hier sagen: ›W-w-w-er Weisheit begehrt, komme zu uns und empfange sie, denn bei-bei-bei uns ist sie zu haben.‹?«
Hinkmar nickte und gab sich geschmeichelt, als wäre er einer dieser Gelehrten, wiewohl Balduin sich nicht vorstellen konnte, dass auch er – der so weltlich wirkte – zum Kreis jener gehörte, die Griechisch verstanden und sich mit den Schriften des irischen Philosophen auseinandersetzten.
Nun, der hohe Gast tat das offenbar. »Ge-ge-gerade noch gestern habe ich Eriugena gelesen und seine Aussage zur Schö-Schö-Schöpfung. Der Mensch wurde als Letztes geschaffen, so meinte er, damit der Schöpfer z-z-z-zunächst einmal die W-W-Welt wie ein Haus vorbereiten konnte, um erst anschließend den Bewohner hineinzuführen, das heißt: den He-He-Herrn des Hauses. Was freilich zu der F-F-Frage führt, zu we-we-welchem Zweck der M-M-Mensch geschaffen ist: die anderen Ge-Ge-Geschöpfe zur Unterwerfung zu zwingen oder w-w-wie ein verantwortungsvoller Vater für sie zu sorgen. Nun, mein Vater, der K-K-König, scheint ein Herr ersterer Art zu sein?«
Seine runden Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. Balduin konnte kaum glauben, was der Mann da sagte und wie freimütig er den König kritisierte. Auch alle anderen im Saal duckten sich unbehaglich, als wäre es ihnen lieber, diese verbittertklingenden Worte gar nicht erst gehört zu haben. In jenem Augenblick des Schweigens fiel der Blick des Gastes auf Balduin.
»Ach, h-h-h-hier ist er nun also, Ba-Ba-Balduin, der Eisenarm, der gerühmte K-K-K-Krieger, der uns von der Geißel der Normannen befreien will. Sei-sei-seid gegrüßt!«
Als Balduin zögernd auf ihn zutrat, schien es, als wollte der Gast ihn empfangen, gleichwohl es doch nicht sein Heim war, wo sie sich befanden.
»G-g-g-glaubt mir«, sprach er spottend in Hinkmars Richtung, »i-i-ich wäre auch einzig wegen der Gelehrten g-g-gerne nach Laon gekommen. Aber wer mich eigentlich hierher gelockt hat, ist dieser ta-ta-tapfere Mann!«
Balduin lächelte unsicher. Er konnte nicht entscheiden, ob die Worte eine Auszeichnung waren oder ob Hohn mitschwang. In jedem Fall neigte er den Kopf sehr tief, um dem Sohn von König Karl dem Kahlen seine Ehrerbietung darzubringen.
»Ich freue mich, dass sich unsere Wege kreuzen, Prinz Ludwig.«
Immer noch lächelte Balduin verhalten. Dann und wann blickte er den Königssohn von der Seite an, erwartete, dass der nun endlich zu sprechen begänne – doch seitdem Ludwig ihn gebeten hatte, ihm nach draußen zu folgen und ihm Laon zu zeigen, schwieg er. Ob es daran lag, dass ihm das Reden so schwerfiel?
Freilich, vorhin schien es ihm nichts ausgemacht zu haben, dass alle Anwesenden sein Stottern gewahrten, desgleichen wie er die ungläubigen Blicke gewohnt zu sein schien, die auf seine schwächliche Gestalt fielen. Balduin beherrschte sich, um ihn nicht auf-dringlich anzustarren – doch er konnte nicht aufhören, sich darüber zu wundern, dass ausgerechnet dieser Mann der Sohn eines Königs war. Nicht minder groß fiel sein Erstaunen darüber aus, dass er seinetwegen nach Laon gekommen war.
Balduin versuchte, selbstsicher zu klingen,
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