Das Geständnis der Amme
spräche er vom größten Unheil seines Lebens.
»W-w-was ich mit all dem sagen wollte«, fuhr der Prinz endlich fort, als Balduins Unbehagen immer größer wurde, zuerst den Schlag des Herzens unnatürlich schnell antrieb, ihm dann die Kehle zuschnürte und schließlich ein peinvolles Rot auf seine Wangen jagte. »W-w-w-was ich sagen will … von Beginn seiner Herr-Herr-Herrschaft an hatte mein Vater gegen mächtige Feinde zu kämpfen. Und sie k-k-k-kamen aus der eigenen Familie. Nicht einfach besiegen konnte er sie, sich le-le-lediglich darauf verlas-sen, dass Wortbruch und Hader sie entzweit und neue Bündnisse geschaffen hatten – desgleichen wie sein Vater von den eigenen Söhnen in Bedrängnis versetzt wurde, je-je-jedoch sein Amt behielt, w-w-w-weil jene von Neid und Missgunst zerrissen waren.« Er machte eine kurze Pause. »Mein Vater v-v-v-vertraut keinem Menschen. Am wenigsten seinen Brüdern … und seinen Sö-Sö-Söhnen.«
»Es heißt, Euer Bruder Karl herrsche in Aquitanien …«, setzte Balduin an.
»W-w-w-würde er gerne – wenn ihn die Gro-Gro-Großen dort ließen!«
»Und es heißt, dass er Euch die Herrschaft über das Dukat Maine übergeben hat …«
»Herrschaft!«, unterbrach ihn Ludwig bitter. »Dass ich nicht 1-1-1-lache! Mein Vater hat mich so lange wie nur möglich am Hof gehalten, auf dass ich nirgendwo eigenen Einfluss ge-ge-ge-winne. In seinem Sch-Sch-Schatten musste ich verharren. Er hat mir lieber Bücher zu lesen gegeben, als m-m-m-mich das Schwert schwingen zu lassen. Vielleicht bin ich für Zwei teres auch nicht stark genug.«
Wieder zuckte er die Schultern.
»Vorhin im Saal klang es nicht so, als würdet Ihr Euch ungern mit der Wissenschaft beschäftigen«, warf Balduin ein.
Ein dünnes Lächeln erschien auf Ludwigs Lippen. »Du hast mir zugehört! D-d-d-das gefallt mir! Ich bin von verschlagenen Leuten umgeben, d-d-d-die mich stets belauschen. Ich k-k-k-könnte mich an gar keine anderen in meiner Nähe gewöhnen!«
»Ich bin nicht …«
»Spar es dir zu heucheln! Es ist auch dein gutes R-R-R-Recht, mich durchschauen zu wollen. Bei der Wahl der Mittel, um solches zu erreichen – den Nächsten nämlich zu durchschauen –, ist keine Z-Z-Z-Zimperlichkeit geboten. Aber um dich nicht zu sehr zu verwirren, Ba-Ba-Balduin Eisenarm, erkläre ich dir gerne, w-w-w-was mich zu dir treibt. Ich will dich etwas fragen. Ob du nämlich für mich k-k-k-kämpfen willst?«
Balduin war erleichtert, dass Ludwig sein Anliegen nun endlich klar benannte – und ebenso verstört darüber. »Ihr sagtet eben, Ihr hättet keine eigene Macht, und Euer königlicher Vater wünsche nicht, dass Ihr das Schwert …«
»D-d-d-das ist es ja eben.« Ludwig seufzte ungeduldig, als seine Worte immer mehr ins Stocken gerieten. Plötzlich hob er seine Hand und schlug sich unwirsch ins Gesicht, als wolle er sich selbst für diesen Makel bestrafen. Im nächsten Augenblick schüttelte er allerdings resigniert den Kopf, offenbar zu erfahren darin, dass keine Gewalt nutzte, um seine Worte in einen ebenmäßigen Fluss zu überführen.
»D-d-d-das ist es ja eben«, wiederholte er, und diesmal gelang es ihm leichter. »Die Dinge haben sich gewendet …«
Johanna versuchte, sich abzulenken, indem sie sich ihren Kräutern widmete. In den wärmeren Jahreszeiten hielt sie sich meist im Garten auf, setzte neue Gewächse, erntete oder befreite die kleinen Felder von Unkraut und Brennnesseln. Nun, da der Winter gerade erst vorüber war, war sie jedoch am liebsten in jenem kleinen Raum, den jedermann die »Kräuterstube« nannte. Er befandsich gleich neben der Küche und war ihr Reich. Eine kleine Feuerstelle befand sich darin, über der sie das eine oder andere Gewächs trocknen ließ, desgleichen ein Tisch, ein Stuhl und schließlich ein Strick, der quer durch den Raum an zwei Eisenhaken gespannt war und an dem sie die vielen Lederbeutelchen aufhängte. Niemand durfte den Raum betreten, wenn sie nicht zugegen war – das war Gesetz und hatte sich in den Köpfen der Knechte und Mägde festgesetzt –, doch zu ausgewählten Stunden gewährte sie den Menschen gnädig, sie hier zu besuchen: sei es der Köchin, die Amaranth für den Salat oder Rosmarin, Anis und Liebstöckel für Fleisch und Eintopf brauchte, oder seien es die Kranken, die sich von ihr Heilung oder zumindest Linderung erhofften. Eben noch hatte sie ein Gebräu aus Fenchel, Thymian und Melisse einem Alten gegeben, der sich beim Atmen schwertat. Und als er
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