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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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kämpfte damit, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Er wäre nicht weit gekommen, doch in diesem Augenblick stürzte Johanna auf ihn zu, in ihren Händen ein Tuch, und dass jenes kalt und feucht war, gewahrte Balduin auf allzu unangenehme Weise, als sie es ihm ins Gesicht klatschte.
    »Du musst zur Besinnung kommen!«, erklärte sie streng, und obwohl er sein Gesicht unwillig verzog, ließ er es doch zu, dass sie das Tuch noch einige Male auf seine Stirn und Wange klatschen ließ und schließlich seinen Nacken abrieb.
    Darauf fühlte sich Balduin wieder Herr der Lage und fand rasch den Weg zum Saal. Johanna und Madalgis begleiteten ihn zum Eingang, um dann zurückzutreten.
    Mit einem raschen Blick versuchte Balduin zu erfassen, was vor sich ging, und zu seinem Erstaunen erblickte er nicht nur Graf Robert und Alpais, sondern nebst einem weiteren Gast auchHinkmar, seit kurzem Bischof von Laon und ein Verwandter des berühmten gleichnamigen Erzbischofs von Reims. Bis jetzt war Balduin noch nicht zu einem Urteil gekommen, was von ihm zu halten war. Hinkmar war ohne Zweifel ein freundlicher und gebildeter Mann, der weder etwas mit der anstrengenden Bigotterie noch mit der dummen Faulheit mancher seiner Amtskollegen gemein hatte, und dass er dank der Verwandtschaft mit dem Erzbischof von Reims auch der Königsfamilie nahestand, mochte ein gutes Licht auf Laon werfen. Doch nicht nur Hinkmars stets erlesene Kleidung, sondern vor allem die vielen Gerüchte, die die geschwätzigen Mönche und Notare seiner Umgebung in die Welt setzten, bekundeten, dass er nicht eben sparsam, sondern im Gegenteil sogar sehr verschwenderisch war und er es nie genau damit nahm, eine Grenze zwischen dem persönlichen Vermögen und dem der Kirche zu ziehen. Dies war ein ungeheuerlicher Vorwurf, der noch nicht bewiesen war, aber insbesondere dem Grafen vor Augen hielt, dass man besser Vorsicht walten lasse.
    In jenem Augenblick freilich galt Balduins Aufmerksamkeit dem Bischof nur flüchtig, schon musterte er den Gast, der nicht weit vom Kamin entfernt auf- und abschritt. Balduin erstarrte. Er hatte manchen Spott über diesen Mann gehört, manch verächtliches Wort, aber er hatte es großteils für böses Gerede gehalten, das einer seines Ranges unweigerlich auf sich zieht, vor allem in einem Kreis von Menschen, die nur über Dritte von ihm gehört, ihn jedoch niemals selbst gesehen hatten.
    Doch sein erster Blick auf diesen Gast bestätigte, dass das verächtliche Urteil über ihn stimmen musste – ein Urteil, wonach der Mann nicht einfach nur hässlich, sondern abstoßend, nicht einfach nur schwächlich, sondern von mickriger Statur war. Gleichwohl er versuchte, all das Missratene zu verbergen – er trug goldgewirkte Kleider und Schuhe, weiße Handschuhe und ein mit funkelnden Edelsteinen besetztes Wehrgehänge, das um die Hüften geschlungen war –, konnte er seine schmalen Schultern und seinen gekrümmten Rücken nicht verbergen. Am unangenehmsten anzusehen war sein Gesicht: Seine blassgrauen Augenschienen förmlich aus ihren Höhlen zu treten und wirkten viel zu groß geraten, seine Wangen waren von lauter kleinen Narben übersät, die jedoch nicht von ruhmreichen Schlachten kündeten, sondern von einem kaum verheilten Ausschlag. Sein Mund war noch das Schönste, doch die Lippen waren viel zu weibisch geschwungen, um in das Gesicht eines Mannes zu passen.
    Erschreckender als das war freilich die Tatsache, dass er beim Reden unverhohlen stotterte. Ob seines Rangs wagte niemand auch nur zu grinsen – doch Balduin war sich gewiss: Hätte er selbst so gesprochen, so hätten ihn Gerold und seine Brüder oder Arbogast höchstselbst bereits als Kind totgeprügelt. Trotz des Makels sparte der Gast nicht daran, viele Worte zu machen. Er sprach mehr oder weniger allein, vor allem an Hinkmar gewandt – der Einzige, der ihm auch dann und wann Antwort gab, während Graf Robert und Alpais im respektvollen Schweigen verharrten. Ob er Balduin gewahrt hatte, als dieser den Saal betrat, ließ sich nicht sagen – seine glupschigen Augen schienen nicht sonderlich lang auf etwas zu verharren.
    »I-i-i-ist es wahr, d-d-dass die Ge-Ge-Gelehrten von Laon G-G-G-Griechisch verstehen?«, fragte er.
    »Nicht wenige von ihnen«, antwortete Hinkmar dienstbeflissen. »Ohne Zweifel werdet Ihr einige der klügsten Köpfe der
Francia
hier finden – vor allem jene, die sich den Studien der Medizin widmen.«
    Balduin runzelte verwirrt die Stirne. Es war das erste Mal,

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