Das Geständnis der Amme
als er dem Prinzen seine Heimat zeigte. »Dort unten ist die Marienkathedrale und gleich daneben – direkt an der südlichen Römermauer – das Marienkloster.Die heilige Salaberga hat es gegründet. Sie lebte in jener Zeit, da das Geschlecht der Merowinger das Frankenreich beherrschte.«
Ludwig schien abwesend. Ein paar Mal war sein Blick über Balduins kräftigen Körper gehuscht – ob verstohlen oder verschlagen, konnte jener nicht genau sagen –, doch nun waren seine Augen auf die eigenen schmalen Füße gerichtet, und dort verharrten sie auch, als er unwillkürlich fragte: »W-w-was weißt du über den K-K-König, Balduin?«
Es deuchte Balduin sonderbar, dass Ludwig eine solch vertrauliche Anrede nutzte, die vorgab, sie würden sich seit langem kennen. Etwas verlegen zuckte er die Schultern, ihm fiel keine gute Antwort ein. Dass Karl der König war, hatte ihm bislang an Wissen genügt, auch wenn dessen Reich nicht mehr so groß war wie das seines Großvaters – der auch Karl geheißen hatte und den man den Großen nannte –, sondern zwischen ihm und seinen Brüdern geteilt worden war.
»Gott der Allmächtige hat ihm eine verantwortungsvolle Aufgabe zugewiesen, er hat ihn zum
Vicarius Christi
gemacht, zum Stellvertreter Christi auf Erden, auf dass er sein Reich und sein Volk nach dessen Geboten leite«, stammelte Balduin, nicht unähnlich dem stockenden Sprechen, das Ludwig an den Tag legte.
Ludwig ging nicht darauf ein, sondern setzte seinerseits zu sprechen an.
»Es ist nicht selbstverständlich, dass er K-K-K-König ist. Als mein Vater geboren wurde, wusste mein Großvater, K-K-K-Kai-ser Ludwig, na-na-nach dem ich benannt bin, nicht, was er mit diesem, seinem jüngsten S-S-Sohn, tun sollte, hatte er das Land doch längst auf seine bisherigen Söhne Lothar, P-P-P-Pippin und Ludwig verteilt. Und jetzt war da plötzlich ein Jüngster, dessen Zukunft zu sichern w-w-war.«
Balduin schwieg. Er war sich gewiss, dass Prinz Ludwig von ausreichend vielen Beratern, Klerikern und Kriegsherren umgeben war, um mit ihnen über die Lage im Reich zu disputieren, und konnte sich darum nicht vorstellen, weshalb er zu diesem
Zwecke des Sohnes eines Waldhüters bedurfte – mochte dieser auch ein wackerer Krieger sein und unter der Obhut eines mächtigen Grafen stehen.
»Als mein Gro-Gro-Großvater im Sterben lag«, fuhr Ludwig indessen nachdenklich fort, »trauerte er. Er trauerte nicht darüber, dass er sterben musste, sondern er s-s-s-seufzte, weil er w-w-w-wusste, was danach geschehen würde.«
Schon zuvor war es ihm aufgefallen, doch jetzt verstärkte sich der Eindruck, dass Ludwigs Blick sich ebenso unruhig und holprig erwies wie seine Worte. Er hob den Blick, den er bis eben noch auf die eigenen Füße gerichtet hatte, sah Balduin jedoch nicht an, sondern schaute an ihm vorbei. Die Augen flackerten, als könnten sie sich nicht recht entscheiden, woran sie sich festsaugen sollten.
»Die La-La-Lage nach K-K-K-Kaiser Ludwigs Tod also war –mein Vater war damals erst siebzehn Jahre alt –, dass es da mehrere Söhne gab und jeder nach möglichst v-v-v-viel Macht gierte. Da war Lothar, der am liebsten das ganze Reich für sich beansprucht hätte – in jener Größe, wie es der große K-K-K-Kaiser Karl einst beherrscht hatte. Und da war Ludwig, der im Ostfrankenreich herrschte, anfangs wenig von meinem Vater hielt, aber sich sch-sch-schließlich doch mit ihm verbündete, weil er ohne ihn ebenso zu Lothars Opfer zu werden drohte wie Karl. Ein grausamer Bruderkrieg war die Folge, er m-m-mündete im Jahr des Herrn 841 in der Schlacht von Fontenoy – ein schreckliches Blutbad.«
Ludwig zuckte die Schultern. In seinem Gesicht stand nichts von dem Grauen, dem seine Worte galten. Nüchtern wirkte er, vielleicht ein wenig überdrüssig, als habe er das, was er da kundtat, viel zu oft gehört, als dass es sein Herz noch zu berühren vermochte.
»Warum erzählt Ihr mir das?«, entfuhr es Balduin unwillkürlich. Wie alle seines Alters war er mit Geschichten über die Schlacht von Fontenoy groß geworden.
»D-d-d-du hast mir gesagt, was du über den König weißt … und was weißt du von mir?«, fragte Ludwig.
Nun war es Balduin, dessen Blick flackerte. Er senkte seinen Kopf. »Ihr … Ihr seid des Königs Sohn … der älteste … aber Ihr habt
Brüder.«
»Ja, ich habe Brüder«, murmelte Ludwig. Es waren dies die ersten Worte, die er ganz ohne Stammeln hervorbrachte, und es lag eine Niedergeschlagenheit darin, als
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