Das Geständnis der Amme
Lächeln. Ihre Züge wurden verkniffen, die Augen sorgenvoll, und alldas, was sie ihm gestern nicht hatte zeigen und sich selbst nicht hatte eingestehen wollen, brach über ihr zusammen: Furcht, dass er nicht wiederkehrte, Zweifel, ob es Prinz Ludwig wirklich gut mit ihm meinte, Schrecken vor der Einsamkeit, die stets vor ihr aufragte, sobald er Laon verließ.
Schwarze Vögel stoben auf, verdunkelten den Himmel.
»Lass es kein übles Zeichen sein!«, murmelte sie mit Blick auf das hektische Flattern, das in ihren Ohren wie höhnisches Gelächter klang. »Ach Herr«, seufzte sie dann, und sie kämpfte gegen Bange und Trostlosigkeit, »lass ihn heil zu mir zurückkehren!«
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X. Kapitel
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Madalgis war sterbenselend zumute. Anfangs hatte die übelkeit sie nur am Vormittag gequält, mittlerweile wurde sie des Nachts von ihr wachgehalten. Stöhnend und sich wälzend lag sie im Bett, gewiss, dass sie sich gleich übergeben müsste. Doch sobald sie würgte, war kein Mageninhalt da, den sie hätte ausspeien können. Geschwächt und müde tat sie im Morgengrauen etwas, was ihr im letzten Jahr fremd geworden war: Sie weinte.
Sie hatte nicht geweint, als sich ihre Hoffnung zerschlug, sie könnte für Balduin etwas Besonderes sein. Sie hatte nicht geweint, als sie zuschauen musste, wie er sich mit anderen Mägden ebenso leichtfertig vergnügte wie mit ihr. Sie hatte nicht geweint, als die anderen Unfreien sie verspotteten, den zeitweise respektvollen Abstand wieder aufgaben und ihr zuriefen, sie möge ihr Naschen nicht so hoch tragen, sie wäre ja doch nur eine von ihnen. Ja, auch als Balduin mit Prinz Ludwig in den Krieg geritten war, waren ihre Augen tränenlos geblieben.
Jetzt aber hatte das Leben ihr eine Last zu viel aufgebürdet.
Das Mädchen, mit dem sie den Schlafsack teilte, trat im Halbschlaf nach ihr. »Gib Ruhe!«, forderte sie gereizt.
Madalgis erzitterte vor lauter Schluchzen. Blind vor Tränen erhob sie sich, versuchte sich zu orientieren, stürzte irgendwie ins Freie, um dort ihrem Elend ungezwungen freien Lauf zu lassen. Sie hockte auf der kalten Erde, grub mit ihren Händen wie eine Wahnsinnige darin und weinte, bis ihre Seele ausgetrocknet war.
Nicht das, dachte sie, bitte nicht auch das …
Nicht die Angst vor der Zukunft machte ihr am meisten zu schaffen, sondern das Gedenken an den Vater und dass sich sein Urteil, so verbissen und trotzig sie sich dagegen auch aufgelehnt hatte, nun eintreffen würde. Auch mit ihr würden die Menschen, die reicher und mächtiger waren und mehr zu sagen hatten, machen, was sie wollten, sie würden sie zu ihrem Zwecke nutzen und sie dann fallen lassen.
Sie grub tiefer in der Erde. Aus Staub war der Mensch, und zu Staub würde er nach seinem Tod wieder werden, doch sie – sie wurde schon zu Lebzeiten in den Staub getreten, sie würde sich nicht mehr erheben können, sie würde …
Ein Schatten fiel auf sie.
»Bist du das, Madalgis?«, fragte jemand.
Nie hatte sie sich gedacht, dass sie diese strenge, kalte Stimme jemals gerne hören würde, doch in diesem Augenblick war sie für deren Nüchternheit dankbar. Die äußerste Schale ihres Schmerzes schien davon gelöst zu werden, und was darunter lag, mochte zwar nicht weniger verletzlich sein, doch drohte es sie nicht mehr zu ersticken. Das Schluchzen erstarb, das Würgen auch. Zum ersten Mal seit Tagen war ihr nicht übel.
Madalgis richtete sich auf. »Und was tust du mitten in der Nacht im Freien?«, fragte sie zurück.
Man wusste, dass Johanna die engen Räume mied und gern in ihrem Garten war, wenngleich nicht offenkundig war, ob sie dadurch einfach nur menschliche Gesellschaft meiden wollte oder ob es ihr tatsächlich ein Vergnügen war, stundenlang auf dem Boden zu knien. Doch bislang war Madalgis entgangen, dass es Balduins einstige Amme auch des Nachts nach draußen zog.
»Dasselbe könnte ich dich fragen«, sagte Johanna. Dann tat sie etwas, womit Madalgis am allerwenigsten gerechnet hatte: Anstatt steif und abweisend stehen zu bleiben wie stets, beugte sie sich zu dem Mädchen und hockte sich zu ihr auf die klamme Erde. Lange blieben sie schweigend sitzen, bis das gelbliche Mondlicht mit den seidigen Fäden verschwamm, die die Dämmerung über die Welt warf, noch zu löchrig, noch zu fein, um Madalgis mehr von Johannas Gesicht erkennen zu lassen als nur Schatten.
»Du … du machst dir Sorgen um Balduin«, stellte Madalgis fest, erstaunt, dass sie inmitten des eigenen Elends noch fähig war, sich
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