Das Geständnis der Amme
Bande ist ins Land eingedrungen, man hat sie zuerst in der Nähe der Somme gesehen. Ihr Anführer ist ein gewisser Völundr. Sie haben Noyon überfallen und geplündert, haben Bischof Immon entführt und mit ihm andere Priester. Als der Bischof aus ihrem Lager fliehen wollte, ist er ermordet worden. Und einige der Priester haben sie … aufgehängt.«
Seine Stimme zitterte, doch aus Johannas Gesicht schwand das Strahlen nicht.
»Das ist deine große Chance!«, rief sie heiser vor Erregung. »Prinz Ludwig würde dich nicht aufsuchen, wüsste er nicht von deinem Mut und deinen vielen Siegen. Er … er sieht nicht auswie einer, der dazu taugt, allein zu kämpfen. Wenn er nicht der Sohn des Königs wäre …«
Sie brach ab, doch auch so wusste er, was sie meinte. Wäre er nicht des Königs Sohn – ein jeder würde ihn verachten ob des Stotterns, des gebückten Gangs und der schiefen Züge, die sein Gesicht entstellten.
»Du musst ihn umwerben!«, fuhr Johanna fort. »Ihn und seine Familie! Suche sein Wohlwollen bei allem, was du tust! Führe sämtliche Anordnungen aus! Vielleicht … vielleicht wird dir sein Vater dann endlich ein Lehen schenken, und du wirst dein eigenes Land haben. Das hast du verdient ob all deiner Erfolge für die
Gallia.«
Sie legte ihre Hände auf seine Schultern. Trotz ihres glühenden Blicks und der entschlossenen Worte fröstelte sie immer noch. Das sanfte Beben erfasste auch Balduins Körper. Er wusste nicht, ob es von ihren kalten Fingern rührte oder von den Erinnerungen, die plötzlich vor ihm aufstiegen. Blut, abgeschlagene Gliedmaßen, gequälte Schreie von Sterbenden, die Worte seines Vaters Audacer: »Das Leben ist grausam.«
»I-i-ihr werdet mich be-be-begleiten?«, hatte der Prinz zuletzt gesagt und seine Stimme am Ende gehoben, als wäre es eine Frage, aber sie beide wussten, dass es keine war, vielmehr ein Befehl. Wie anders sollte sich ein Krieger, den man Eisenarm nannte, auch verhalten, als willig, einem Königssohn zu folgen, wenn dieser sich ihn als Waffengefährten wünschte? An seiner Seite erhoffte sich Ludwig offenbar jene militärischen Erfolge, die er, würde er sich auf sich selbst verlassen, wohl nie erreichen würde und die den Vater gewogen stimmen sollten, ihm mehr Macht zu übergeben. Es war Balduin so selbstverständlich erschienen, auf die Frage hin zu nicken, und inmitten seines Unbehagens hatte er sogar Stolz empfunden. Nur jetzt, da jener Stolz auch in Johannas Gesicht funkelte, schmeckte der eigene fahl, und er dachte an nichts anderes als daran, wie unbehaglich er sich unter Ludwigs flackerndem, verdrossenem und irgendwie herablassendem Blick gefühlt hatte.
»Das ist deine große Chance auf ein Lehen!«, bekräftigte Johanna. »Ruh dich jetzt aus, nimm ein Bad, auf dass du deine Kräfte sammelst! Ich werde dir eines von den Mädchen …«
»Nicht!« Er schüttelte ihre kalten Hände ab. »Ich möchte jetzt gerne allein sein.«
Da berührte sie ihn erneut, griff diesmal nicht nach seiner Schulter, sondern nach seiner Wange, fuhr sie entlang, bis ihre Fingerspitzen seine Lippen erreichten.
»Du hast ein wunderbares Leben, Balduin!«, rief sie eindringlich. »Und du stehst erst am Anfang! Großes erwartet dich, ich weiß es, ich habe es immer gewusst.«
Er erschauderte wieder, sein Mund wurde trocken, trotzdem wagte er es nicht, ihre Hand zurückzuschlagen. Endlich tat sie es von selbst, nahm etwas von den Kräutern und rührte sie in einen Weinkelch.
»Trink!«, befahl sie, und ehe er danach greifen konnte, führte sie den Kelch zu seinen Lippen, um ihn zu nähren – so wie einst, da er an ihrer Brust gesaugt hatte.
Der Wein stieg ihm in den Kopf, Schwindel breitete sich aus, aber auch wohlige Wärme. Er schluckte anfangs zögerlich, dann immer gieriger nach diesem Gefühl von Rausch und Vergessen.
»Ich werde dir eines der Mädchen schicken«, wiederholte sie, und diesmal wehrte er sich nicht.
Frühmorgens am nächsten Tag brach Balduin auf. In der letzten Woche hatte die Märzsonne ihre Kraft bewiesen; der Schnee war getaut, nur mehr kleine gelbliche Flecken waren von der eben noch nahtlos weißen Decke zurückgeblieben. Doch nun versteckte sie sich hinter diesigem Nebel.
Johanna drückte Balduins Hand zum Abschied, ehe er sein Pferd bestieg.
Solange Balduin zu sehen war, wie er dem Königssohn nachritt und seine hellen Haare im Wind flatterten, lächelte Johanna beglückt. Erst als seine Gestalt sich verflüchtigte, schwand ihr
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