Das Geständnis der Amme
aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnahm. Er hob abwehrend sein Schwert, was keinen Augenblick zu früh kam, denn schon klirrte die Waffe eines Angreifers darauf, die andernfalls direkt seinen Kopf gespalten hätte.
Erst jetzt erkannte er, dass er nicht der Einzige war, der von den Schritten – mochten sie auch noch so leise schleichend ausgefallen sein – geweckt worden war. Während er auf seinen Angreifer einhieb und ihm alsbald sein Schwert in den Leib rammte, gewahrte er, wie einige der anderen fränkischen Krieger, darunter Guntfrid und Gozfrid, sich auf den erstbesten der Feinde stürzten, die sie im schwachen Schein des Feuers ausmachten.
Eine Weile hüllte ihn der übliche Schlachtenlärm ein, das Klirren von Schwertern, das Keuchen von Kämpfenden, das ächzenvon Verwundeten oder Sterbenden, dann wurde er wie so oft taub dafür, streckte Mann um Mann nieder, dankbar, dass ob des mangelnden Lichts die unbekannten Angreifer kaum mehr als Schatten waren. Morgen im Sonnenlicht würde er vielleicht in die gebrochenen Augen der Toten starren müssen, doch jetzt hatte er nicht das Gefühl, gegen Menschen zu kämpfen, die sich an das Leben klammerten und sich daran erfreuten und die irgendwo Weib und Kind und Mütter hinter sich gelassen hatten und wieder dorthin zurückkehren wollten. Wesen waren es vielmehr, die von der Unterwelt ausgespien waren und die er gerne wieder dorthin zurückschickte.
Als sein Gesicht nass vor Schweiß war, vielleicht war es auch Blut, kehrte wieder Ruhe ein. Er ließ das Schwert sinken, drehte sich im Kreis, doch alle, die ihm noch aufrecht entgegenkamen, waren fränkische Männer. Einer von ihnen klopfte ihm auf die Schultern.
»Jetzt stiehlt uns dieses Gewürm schon den gerechten Schlaf!«, kam es mürrisch.
»Es waren zu wenige, um mich die ganze Nacht wach zu halten!«, meinte ein anderer, steckte gähnend sein Schwert in die Scheide und ging in Richtung seines Zeltes.
Balduin hatte die Grauen des Krieges nie wieder so nahe an sich herangelassen, um sich ob der Gefallenen schuldig zu fühlen wie einst bei Eyvindr – aber es deuchte ihn doch seltsam, sich nach einem Kampf wie diesem einfach wieder hinzulegen, die Augen zu schließen und einzuschlafen, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen.
Wie dumm, dachte er und stieg über einige Leichen, wie dumm zu glauben, man könnte Krieger wie ihn im Schlaf überraschen, wie dumm … und welch unnütze Verschwendung von Leben.
Ihm dürstete nach Wein, nach etwas, das seine Gedanken betäuben und seine Glieder erwärmen würde, und er ging in Richtung der Pferde, wo sich auch die Vorratswagen befanden.
Eben noch, in Todesgefahr, waren sämtliche seiner Sinne hellwach gewesen, sie nahmen jede Regung war, jeden Laut. Nun wurdensie nachlässig, zu nachlässig. Er achtete nicht auf den Weg vor sich, gewahrte das Seil, das darübergespannt war, erst, als sich seine Füße darin verfingen, und fiel zu Boden, ehe er auch nur das Schwert ziehen konnte. Hastig wälzte er sich auf den Rücken und sah einen Mann, der eine Lanze gegen seinen schutzlosen Leib hob.
Blonde Haare, dachte er, der Mann, der mich töten wird, hat blonde Haare …
Es war dies nicht ungewöhnlich, viele der nördlichen Angreifer hatten helles Haar, und doch schien es ihm in diesem Augenblick fast eine Gnade zu sein, dass er nicht von der Hand eines Schwarzgelockten fiel. Nicht dem grausamen Zufall unterlag dadurch seine Todesstunde, sondern dem Walten der Gerechtigkeit, die seine größte Schuld von einem sühnen ließ, der seinem damaligen Opfer glich.
Die Lanze fuhr nicht sofort auf seinen Leib hinab.
»Ist er das?«, hörte er den blonden Mann fragen – zumindest war es das, was er verstand, denn in der Zeit in Eyvindrs Dorf und auch in den letzten Jahren hatte er das eine oder andere Wort ihrer Sprache gelernt.
Ein anderer kam hinzu; im fahlen Mondschein konnte Balduin sein Gesicht nicht erkennen, nur die Regung des Kopfes, als er nickte.
Immer noch stach der Blonde nicht zu. »Wie ist dein Name?«, fragte er.
Erst später fragte sich Balduin, warum der Normanne hatte wissen wollen, wie er hieß – als Erster und Einziger seit Eyvindr. Nicht minder seltsam war, dass er darauf antwortete, vielleicht dem Trug verfallen, dass sein Name den Tod eher überdauern möge, wenn sich nicht nur die Kampfgefährten daran erinnerten, sondern auch sein Mörder.
»Balduin«, sagte er, »Balduin Eisenarm.«
Seine Stimme zitterte nicht, sondern klang
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