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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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orientieren. Selten fiel die Umarmung der Nacht tief und fest aus, meist erlaubte er sich nicht mehr als ein Dösen, aus dem er beim leisesten Geräusch aufschreckte.
    Er griff nach seinem Schwert, kroch lautlos zum Eingang, lauschte gebannt. Was immer ihn geweckt hatte, war womöglich nur das Raunen des Windes oder das Gekreisch der Vögel gewesen, aber er wusste, dass er erst dann wieder seine Ruhe finden würde, wenn er geprüft hatte, woher es stammte. Wachsam war er auch früher gewesen – aber seit er den Königssohn in seiner Nähe wusste, war er viel angespannter, viel schneller zu beunruhigen.
    Als große Chance seines Lebens hatte es Johanna bezeichnet, auf diese Weise die Freundschaft von Prinz Ludwig zu erringen, doch in den drei Monaten, da er nun mit ihm gemeinsam gegen die Normannen kämpfte, fühlte er sich oft als dessen Wachhund missbraucht.
    Gelohnt wurde ihm das kaum: Nicht nur, dass ihn die anderen Gefolgsleute – darunter vor allem die Brüder Guntfrid und Gozfrid,Söhne eines neustrischen Adeligen und des Prinzen Freunde –misstrauisch beäugten. Es störte ihn vor allem, dass diese auch die Route bestimmten: Da man den Königssohn keinem unnötigen Risiko aussetzen wollte, wurde nicht selten der Feind mit Absicht umgangen – ohne Ludwigs Wissen freilich. Balduin bezweifelte, dass Ludwig so dumm war, diese Taktik nicht zu durchschauen, und von seiner Gereiztheit her zu schließen war jenem diese Vorsicht ebenso eine Fessel wie ihm selbst. Doch anstatt Balduin zu danken, der für ihn auf die Freiheit verzichtete, nach seinen eigenen Regeln zu kämpfen, überhäufte er ihn entweder mit Vorwürfen, dass er ihn nicht ernst nehme, oder mit Spott.
    Tagelang taten sie nichts anderes, als auf kleinen Flussinselchen Festungswälle oder Palisaden zu errichten. Manchmal besprachen sie auch mögliche Schlachtenformationen, aus wie vielen Reihen diese zu bestehen hatten und wo die Männer mit den besten Rüstungen und Waffen platziert wurden. Balduin hatte Glück, wenn er dabei seine Ratschläge überhaupt einbringen konnte – einer der häufigsten war, dass man das feindliche Heer zunächst mit einer Vorhut von vorne, dann aber einkreisen und auch von hinten angreifen sollte –; doch selbst wenn man ihm zuhörte, wusste er, dass jene Taktik so bald nicht zum Einsatz kommen würde. Nicht, solange der Sohn des Königs beschützt werden musste – oder der König, wie er manchmal dachte, vor einem im Krieg zu erfolgreichen Sohn.
    Balduin beugte sich aus dem Zelt, blickte in die sternenklare Nacht. Der schlammige Boden war von vielen Schritten zerfurcht; manch dorniges Gebüsch war von Schwertern gefällt worden, ehe man hier das Nachtlager aufgebaut hatte, und vereinzelt lagen noch Zweige herum, die man nicht verwendet hatte, um das Feuer zu nähren. Es war nichts Ungewöhnliches zu erspähen, auch nicht in der Richtung des nahen Waldes.
    Balduin sah auf das Zelt, in dem Ludwig und sein Leibknecht schliefen, auf weichen Polstern aus kostbaren Pelzen – und wahrscheinlich seelenruhig. Eines musste man dem Königssohn lassen: Balduin hatte ihn niemals ängstlich erlebt, obgleich ihnen anmanchen Tagen trotz aller Vorsicht der Feind sehr nahe gekommen war, sie einmal sogar auf einer Brücke gestanden hatten, als darunter eines der Drachenschiffe segelte. Doch dieser Mangel an Furcht – für den er schließlich auch selbst gerühmt wurde – schien ihm bei Ludwig kein Ausdruck von Tapferkeit zu sein, sondern von Gleichgültigkeit, und jene war ebenso lähmend wie die vielen ängstlichen Schutzmaßnahmen, zu denen sich Ludwigs Gefolge entschloss. An seiner Seite war der Krieg – Balduin konnte es nicht anders nennen – irgendwie … langsamer geworden, nachdenklicher; er war kein erregendes, bedrohliches Zwiegespräch mit dem Tod, wie er es bislang von Angesicht zu Angesicht geführt hatte, sondern ein unsicheres Tänzeln rund um dessen Schatten.
    Da! Balduin zuckte zusammen. Eben hatte er sich wieder ducken, zurück ins Zelt kriechen wollen, als er plötzlich ein gurgelndes Geräusch vernahm. Es klang, als hätte sich jemand verschluckt, an einem Stück Brot – oder an seinem eigenen Blut.
    Balduin sprang auf, lief ein paar Schritte nach vorne, um einen Blick auf jenen Wachposten zu werfen, der neben dem Feuer hockte. Er war in die Asche gesunken, um seinen Kopf breitete sich eine dunkle Lache aus.
    Balduin öffnete den Mund, wollte Alarm schlagen, doch der Laut blieb ihm in der Kehle stecken, als er

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