Das Geständnis der Amme
bedingtem, dass ein solch durch und durch asketischer Mensch, der nie zu viel aß, nie zu viel trank, nie zu viel schlief, dann doch dieses eine körperliche Laster kannte: sich nämlich nach Wärme zu sehnen. Einem Bruder Ambrosius vergab man es freilich gern, denn er gehörte zu jener Minderheit an Asketen, die mit dem eigenen kargen Leben so durch und durch versöhnt waren, dass sie es nicht auch anderen aufhalsen mussten. Ambrosius litt nicht am Fasten, sondern war vielmehr von einem gewissen Misstrauen gegenüber allem Menschlichen und Weltlichen getrieben. Nicht, dass er es grundsätzlich schlecht machte. Aber er wollte – abgesehen von den warmen Sonnenstrahlen – so wenig wie möglich damit zu tun haben. Wenn er ein Stück Brot in der Hand hielt, so schien es stets, er müsse sich überwinden, es zum Mund zu führen, und dass seine Keuschheit unangetastet war, war nicht auf einen dauerhaften siegreichen Kampf gegen die Dämonen der Wollust zurückzuführen, sondern auf einen angeborenen Widerwillen gegen alles Fleischliche.
Ja, Bruder Ambrosius war ein strenger, aber kein unangenehmer Mensch, ein zurückhaltender, aber kein kalter – und wiewohl Madalgis es bis jetzt vermieden hatte, sich irgendjemandem anzuvertrauen, ging ihr auf, dass der Geistliche am besten dazu taugen würde, um von ihr die Lasten abzustreifen. So schwer lagen sie auf ihrer Seele, dass ihre einstmals schnellen, beherzten Schritte zu einem lustlosen Schleichen verkommen waren. Es schien ewig,bis sie sich aufraffen konnte, tatsächlich das Gespräch mit Ambrosius zu suchen – und ewig auch, bis sie ihn erreichte.
»Bitte«, murmelte sie, »bitte …«
Sie bemerkte nicht, dass sie vor den Füßen des Mönchs regelrecht zusammengebrochen war, ihren Kopf so tief senkte, dass er beinahe den Boden berührte.
»Bitte, Ihr müsst mir helfen … «
Das Zögern des Mönchs verriet, dass er sich überrumpelt fühlte. Als Alpais’ persönlicher Beichtvater hatte er mit den Abgründen des Lebens nicht sonderlich viel zu tun.
»Wer bist du, meine Tochter?«, fragte er schließlich und blickte sich argwöhnisch um, wohl, um zu prüfen, ob jemand sie beobachtete. Plötzlich schlug Madalgis mit der Stirne auf den Boden – so heftig, dass sich das Tuch, das um ihren Kopf gebunden war, löste. Sie hörte den Priester entsetzt schnaufen – und wusste genau, was er sah. Sie selbst hatte in den letzten Wochen genau gefühlt, was mit ihr geschehen war, auch wenn sie alles daran setzte, sich mit Arbeit zu betäuben – sie hatte mit einer kleinen Handmühle Getreide gemahlen, Bier gebraut, duftende Seifen hergestellt.
»Mein Gott! Bist du krank?«, fragte der Mönch und rückte unwillkürlich von ihr ab.
»Der Allmächtige straft mich!«, klagte Madalgis. »Ich weiß, dass er das tut. Und ich weiß, dass er allen Grund dazu hat.«
Ihr Kopf war fast gänzlich kahl, büschelweise waren ihr die Haare ausgefallen. Anfangs hatte es sie kaum bekümmert, doch eines Morgens hatte die Magd, mit der sie die Bettstatt teilte, es bemerkt und war laut schreiend vor ihr davongelaufen. Seitdem schlief sie allein – und starrte jeden Morgen auf weitere Strähnen, die auf dem Strohsack lagen.
»Aber warum straft Gott dich?«, fragte der Mönch.
Madalgis schluchzte auf. »Weil ich gesündigt habe … obwohl ich es nicht wollte! Ich wurde dazu gezwungen!«
Als ihr Haarkleid immer löchriger geworden war, war sie zu Johanna gegangen, hatte sie wüst beschuldigt und gefragt, welch elendes Zaubermittel sie ihr noch untergeschummelt habe, sodassnicht nur ihre Leibesfrucht, sondern auch ihre Schönheit zerstört worden war. Johanna hatte die Anklage strikt zurückgewiesen, und gleichwohl Madalgis gerne eine Schuldige gefunden hätte, glaubte sie ihr. Johanna hatte ihre Beteiligung an der Abtreibung nie bestritten – und würde wohl auch die Untat zugeben, ihr die Haare zu rauben. Doch wenn Johanna nichts damit zu tun hatte, dann konnte es nur bedeuten, dass sie, Madalgis, verflucht war.
»Eine Sünde ist nur Sünde, wenn sie aus freiem Willen geschah«, setzte der Mönch zögerlich an. »Willst du mir sagen, was du getan hast?«
Madalgis fühlte, wie die Haut an jener Stelle der Stirne, wo sie fort und fort auf den Boden schlug, aufplatzte und blutete. Rot troff es auf den staubigen Boden. Nun zog der Mönch auch seine Füße zurück.
»Mein Kind … ich habe mein ungeborenes Kind verloren. Ich habe zugelassen, dass man es mir raubte … Ist es nicht Gesetz,
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