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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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Zubereitung Gudula seit Jahren gerühmt wurde. Zum Nachtisch standen Feigen, Quitten und Pfirsiche bereit und Kuchen aus Haselnüssen und Mohn, die mit Anis und Gewürznelken verfeinert waren.
    »Gütiger Himmel!«, rief Balduin aus. »Mein Magen ist an nichts anderes gewöhnt als an getrocknetes Fleisch!«
    »Willst du dich umziehen, zuerst baden?«, fragte der Graf mit einem Blick auf Balduins dreckverkrustete Hände.
    Doch da hatte Balduin schon nach einem Kelch Wein gegriffen und trank ihn, ohne sich dabei zu setzen, in gierigen Schlucken wie Wasser. Noch als er sich über die Lippen fuhr, um die roten Tropfen wegzuwischen, eilte eine Magd herbei und schenkte ihm nach, und sogleich setzte er den Becher ein zweites Mal an und stürzte den Wein wiederum in seine Kehle.
    Als er den Becher absetzte, war sein eben noch fahles, aufgedunsenes Gesicht gerötet.
    »Das nenne ich eine freudige Heimkehr!«, stieß er hervor.
    Der Graf lächelte unsicher. »Du musst Johanna begrüßen! Sie wartet begierig auf dich.«
    »Und kann es wie immer nicht zeigen!«, meinte Balduin; er stand aufrecht, doch seine Zunge schien beim Reden an die Zähne zu stoßen. »Hat sich gewiss in die Kräuterstube verkrochen, auf dass ich zu ihr gehe …«
    Er schwankte leicht, als er sich umdrehte. »Also«, lallte er in Ludwigs Richtung, der schmallippig beobachtet hatte, wie er den Wein in sich schüttete, »ihr müsst ohne mich mit dem Mahl beginnen. Muss erst die Weiber glücklich machen.«
    Erneut schwankte er ein wenig, doch dann gelang es ihm, aufrecht und gerade den Saal zu verlassen.
    Zögerlich blickte Graf Robert auf Ludwig, der immer noch verhalten lächelte.
    »K-k-k-keine Sorge«, murmelte der. »Er verträgt den Wein. Graf Balduin tötet die meisten No-No-Normannen, wenn er be-be-be-trunken ist.«
    »Aber es geht ihm doch gut?«
    »Fe-fe-fehlt ihm ein Arm oder Bein? Habt Ihr eine W-W-W-Wunde gesehen? Nein! Er macht doch einen k-k-k-k-k-kräftigen Eindruck, also geht’s ihm gut!«
    Graf Robert glaubte kurz, Spott aus Ludwigs Stimme zu hören. Aber Balduin und der Königssohn waren doch Freunde, Waffengefährten, die einander blind vertrauen mussten und gewiss am besten wussten, wie es um den Gemütszustand des jeweils ande-ren stand.
    Nun griff auch Robert nach einem Kelch Wein, um ihn ebenso hastig zu leeren wie Balduin.
     
    Früh zog sich Ludwig nach dem Festessen in seine Gemächer zurück. Seine Schritte waren gerade, er hatte an dem Wein nur genippt. Noch nie in seinem Leben war er so betrunken gewesen wie Balduin an diesem Abend. Lallend hatte er ihn zurückgelassen.
    Er ging mit gesenktem Kopf, denn er hasste es, Menschen ins Gesicht zu sehen. Da sie wussten, wer er war, brachten sie ihm Respekt entgegen – aber zugleich konnten sie ihr Entsetzen nicht verbergen: darüber, dass einer seines Ranges so hässlich war. Darüber, dass er nicht richtig reden konnte.
    Anders als Balduin stammle ich auch ohne Weingenuss, dachte Ludwig bitter, es braucht des Trinkens nicht, auf dass alle Leute denken, ich wäre meiner Sinne nicht mächtig.
    Er dachte an jene Stunde – mehr als zwölf Jahre waren seitdem vergangen –, als sein Vater Karl bemerkt hatte, dass er nicht richtig sprechen konnte. Friedlich war bis dahin die Kindheit vergangen, behütet von den vielen Frauen im Hofstaat seiner Mutter. Jene selbst blieb ein kalter, starrer Schatten, den er fast immer nur aus den Augenwinkeln wahrnahm. Aber die vielen anderen Weiber, die ihn fütterten – zuerst mit der Milch ihrer Brüste,schließlich mit eingekochten Birnen und gedörrten Zwetschgen, wie er sie liebte –, waren allgegenwärtig mit ihrem Geplapper, ihren feisten und zupackenden Händen, ihren warmen, nach Schweiß riechenden Leibern, weich und liebevoll. Sie hatten ihn verwöhnt und nicht darauf geachtet, dass er zu reden verweigerte. Vom Sohn eines Königs nahm man nicht an, dass er in irgendeiner Sache nicht gut wäre. Nur der Blick seiner Schwester Judith hatte manches Mal zweifelnd und besorgt auf ihm geruht. Jene war nur ein Jahr älter als er, aber ihr Antlitz hatte schon immer dem einer erwachsenen Dame geglichen. Es war eckig, nicht kindlich rund; in ihren Augen stand weder Unschuld noch freudiger Glanz auf das bevorstehende Leben. Sie waren hart und klar und beobachteten alles, was um sie geschah. Nichts entging ihnen – auch nicht, dass er nicht sprechen konnte. Doch Judith verriet ihn nicht. Judith war schweigsam, wenn auch nicht so wie die Mutter, nicht so

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