Das Geständnis der Amme
von jenen ihn einst aus der Totenstarre seines Gemüts gerissen hatte.
»Madalgis?«, fragte er.
Wieder ertönten Schritte. Durch den Wasserdampf, dicht und grau wie Nebel, trat ihm ein Schatten entgegen, doch das Gesicht, das er schließlich erblickte, war fremd.
»Nein, Madalgis bin ich nicht«, sagte eine junge Frau. »Aber was immer Ihr braucht, ich kann Euch gerne zu Diensten sein.«
Balduin war sich nicht sicher, was sie damit meinte und ob sie erahnen konnte, was er von Madalgis erwartet hätte. Sie sah nicht aus wie eine Magd, die es mit den Sitten nicht so genau nimmt, sondern war – gemessen an der edlen Kleidung, die nicht aus Leinen, sondern aus Seide gesponnen war – wohl eher die Tochter eines Grafen. Wahrscheinlich diente sie Judith nicht als Magd, sondern als Hofdame. Unwillkürlich spannte sich Balduin an und rechnete trotz ihrer höflichen Worte mit ähnlicher Feindseligkeit, wie sie ihm von der Königstochter entgegengeschlagen war. Doch jene blieb aus.
»Also«, drängte das Mädchen, »kann ich Euch helfen? Kann ich … Ach, Ihr sollt wissen, Graf Balduin … Man hört so viel von Euch. Dass Ihr der todesmutigste Krieger seid, den es jemals gab! Dass Ihr keine Schlacht scheut und dass kein Normanne je lebend aus dem Zweikampf mit Euch hervorgetreten ist!«
Ein Bild stieg vor Balduin auf, verstörend wie eine offene Wunde. Er schüttelte rasch den Kopf, ließ sich erneut in das Wasser sinken und tauchte erst wieder auf, als ihm der Atem knapp wurde.
»So, so«, entgegnete er und klang überaus mürrisch. »Das also erzählt man sich von mir. Deine Königin scheint es nicht sonderlich zu beeindrucken.«
»Ach … Judith«, sprach das Mädchen ungezwungen den Namen aus und machte eine wegwerfende Bemerkung, als wäre von dieser nichts anderes zu erwarten. »Sie spottet stets aller Tugenden, die eine Frau haben sollte …«
Balduin presste seine Schenkel zusammen. Er war sich nicht sicher, ob es sonderlich tugendhaft war, mit einem adeligen Mädchen zu reden, während er unbekleidet im heißen Wasser lag. Doch sie schien sich nicht darum zu kümmern.
»Ich wurde belehrt, dass man, sobald ein Gast eintrifft, diesen eilends von Mantel und Schwert befreien soll«, sprach sie. »Und was macht Judith? Lässt Euch stehen und warten! Desgleichen heißt es, dass die Frauen ihm die Ankunft angenehm machen sollen, indem sie duftende Blumen vor ihm aufstellen und süße Früchte. Judith hingegen hätte Euch wohl lieber verhungern lassen.«
Balduin nickte zustimmend, obwohl ihm die Stimme des Mädchens zunehmend unangenehmer wurde. Es klang, als würde Erz zusammenschlagen, und ihre grauen Augen stierten nicht minder hart in die Welt.
»Außerdem … Frauen ihres Ranges sollten nicht so viel lesen, sondern stattdessen goldene Umhänge für Kaiser besticken. Kaiserin Judith, die Großmutter, von der unsere Königin den Namen hat, webte für ihren Gemahl ein
Peplum.
Doch Judith macht sich stets darüber lustig. ›Von der Kaiserin hört man nicht nur das›, hat sie erst kürzlich gesagt, ›sondern auch, dass sie ihren kaiserlichen Gemahl mit dem Kämmerer Bernhard betrogen hat. Und heißt es nicht auch, sie habe ihren Mann mit heimtückischen Zaubermitteln und teuflischen Kräften verhext? Ob das
Peplum
allein ihn darüber hinweggetröstet hat?› Ja, so spricht Judith. Das ist doch empörend!«
»Durchaus«, bestätigte Balduin und dachte sich im Stillen, dass er diese aufdringliche Stimme nicht mehr lange würde ertragen können. Schweigend wäre ihm diese junge Frau schon lieber. Ihr Gesicht war mit seinen etwas zu runden Bäckchen und farblosen Wimpern zwar eines, an dem man sich schnell sattsah, aber ihre Gestalt, die zunehmend sichtbar wurde, weil ihre Gewänder dank des Wasserdampfs und des Schweißes am Körper zu kleben begannen, war durchaus verlockend: nicht zu dick und nicht zu hager, nicht zu schwammig und nicht zu sehnig, ein gerader Rücken und ordentliche Brüste.
»Sag, wie heißt du?«, fragte Balduin, ehe sie zu neuer entnervender Rede ansetzen konnte.
»Joveta«, sagte sie schnell – leider blieb es nicht bei diesem einen
Wort. Denn schon sah sie sich genötigt hinzuzufügen, wer sie war und woher sie stammte. Demnach war sie die Tochter eines jener Adeligen, die in der drei Jahre zurückliegenden Revolte ihren König verraten hatten und zu
Ludovicus Germanicus
übergetreten waren, die in Ponthion und später in Attigny empfangen worden waren und sich Grafschaften,
Weitere Kostenlose Bücher