Das Geständnis der Amme
W-w-was sollte man auch über dich berichten, wenn doch die Dauer eines Wimpernschlags genügt, damit du jedermann mit der Natur deines Wesens vertraut machst … Nu-nu-nun, du siehst, ich komme n-n-n-nicht allein, an meiner Seite ist Ba-Ba-Balduin, Ziehsohn des Grafen von Laon und Vasall unseres Vaters, der im Krieg gegen die Normannen …«
Judiths Blick löste sich von Ludwig, musterte Balduin, freilich, ohne lange auf ihm zu verweilen. Schon wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu.
»Langweile mich nicht!«, unterbrach sie ihn. »Der Krieg ist die Sache von euch Männern, nicht meine. Wenn du übrigens meinen lieben Kerkermeister Bischof Erpuinus von Senlis begrüßen willst, kommst du zur falschen Zeit. Denn jener kriecht unserem Vater – wie so oft – unter den königlichen Kittel … Oder, auch das ist möglich, er streitet sich wieder einmal mit Rothad von Soissons, was die Grenzen seines Bistums anbelangt. Wie Marktweiber kommen sie mir vor, die darum keifen, welche wo ihren Stand aufstellen darf.«
Erneut zuckten alle Versammelten zusammen, am heftigsten Bruder Godhard. Gleichwohl Judith nicht in seine Richtung sah,sagte sie rasch: »Besser, Ihr zieht Euch zurück, Bruder Godhard. Wenn ich mit meinem Bruder zusammenkomme, nehmen wir gewöhnlich kein Blatt vor den Mund. So viel Freiheit – nämlich die zu denken und zu reden – sollte selbst einer wie mir zustehen, oder nicht?«
Wieder lachte Ludwig, noch schriller und lauter als zuvor, während Bruder Godhard mit puterrotem Gesicht den Saal verließ.
»Nun, liebe Sch-Sch-Schwester«, setzte der Königssohn an, als er die Fassung wiedergefunden hatte. »Ich habe vo-vo-vorhin meine Vorstellung nicht beendet. Dies hier ist Balduin …«
Erstmals zeigte auch Judiths restlicher Körper eine Regung. Sie hob die Hand, die eben noch mit der anderen verkreuzt gewesen war, und fuhr damit unwirsch durch die Luft.
»Ich weiß, ich weiß, Balduin … der Ziehsohn des Grafen von Laon … Flandern … die Normannen … ein tapferer Krieger … grausame Schlachten … Du kannst es dir gern ersparen. Im übrigen musst du auch nicht euer Jagdglück rühmen. Ich weiß, dass ihr eben beherzt und heldenhaft die Wälder durchstreift habt, um Hirsche, Wildschweine, Büffel, Auerochsen … ach, was weiß ich, zu erlegen. Auf dass wir volle Schüsseln haben heute Abend.«
»Woher w-w-w-weißt du …?«
»Weil Blutspuren am Umhang deines Waffengefährten sind, liebster Bruder. Und weil ich mir nicht vorstellen kann, dass er so dreist wäre, vor mich zu treten, stammten diese von einem Menschen, nicht von einem Tier. Ihr Männer rühmt euch untereinander gern des Mordens, nicht wahr? Jedoch nicht im Angesicht der adeligen Damen. Vor diesen Damen wiederum berichtet ihr gern von erfolgreichen Jagden. Aber auch darauf könnt ihr gern verzichten, weil jeder weiß, dass die Tiere in diesem Wald in ein groß angelegtes Gehege gesperrt sind, auf dass niemand dem Bischof von Senlis nachsagen kann, er treffe mit seiner Lanze kein Tier. Lebten sie in freier Wildbahn, würde ihm das nämlich nicht gelingen. Seit wann bist du eigentlich derart auf die Jagd erpicht, Ludwig? Von unserem Vater heißt es, er habe schon als Kind ein Hirschkalb erlegt – und war er nicht stets verbittert,weil dir etwas derartiges nicht gelang, auf dass du dich wenigstens einmal als würdiger Sohn erwiesen hättest?«
Diesmal geriet Ludwigs Lächeln schmallippig. Eben noch schien er ganz aufgeregt gewesen zu sein, als die scharfe Zunge seiner Schwester den gesamten Saal entsetzt hatte, doch jetzt fiel die Erregung von ihm ab und wich der Müdigkeit.
»D-d-d-da wir nun wissen, wie du über die W-W-W-Welt denkst, liebe Judith, wäre es nun vielleicht an der Zeit, dass du uns einlädst, an deiner Seite Platz zu nehmen, und uns Er-Er-Er-frischungen anbietest.«
»Tatsächlich?« Wieder hob sie die Hand und winkte ab. »Dein Krieger da scheint mir kräftig genug, eine Weile stehen zu können. Zu solchen Zwecken werden sie doch erzogen – nämlich standhaft und stark zu sein … Bin ich unhöflich, weil ich über ihn spreche, aber nicht mit ihm? Vielleicht liegt’s daran, dass du zwar ihn mir vorgestellt hast, nicht aber mich ihm.«
»D-d-d-daran liegt dir etwas?«, fragte Ludwig verwundert, um dann freilich doch in Balduins Richtung zu verkünden: »Dies also ist meine Schwester Judith, ein Jahr vor mir geboren, Tochter von K-K-König Karl, Gattin von König Ethelwulf von W-W-W-Wessex, selbst gekrönt zur
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