Das Geständnis der Amme
Frauen schänden. Schlimm sind auch die, die das eigene Gewissen nicht um eine Entscheidung bemühen wollen, was man einer Frau schuldig ist und was nicht.«
»Ju-Ju-Judith, ich bitte dich«, begann Ludwig zu stammeln, nicht länger belustigt, sondern unbehaglich. »Es ist jetzt nicht die Z-Z-Z-Zeit …«
»Ach, sei still, Bruder«, fiel sie ihm verächtlich ins Wort und hob nun deutlich die Stimme. »Joveta weiß in ihrer Verzweiflung doch nicht, was sie tut! Und verzweifelt ist sie – seht ihr das denn alle nicht? Nach allem, was ihr Vater tat, wird kein Mann ihres Standes sie noch heiraten, und selbst die Klöster würden sie nicht aufnehmen, weil sie Angst vor dem Zorn des Königs haben, der sich leider nach alter Gewohnheit eher über eine ganzeSippe ergießt als nur über den Einzelnen, der sich gegen ihn erhoben hat! Aber dafür, Krieger, müsst Ihr Euch ja nicht interessieren! Ihr kommt und nehmt, so herzlos und gedankenlos wie Ihr verwundet und tötet!«
Wieder krachte laut der Stuhl, auf dem Balduin gesessen hatte. Diesmal nicht, weil er ihn umgeworfen hatte, sondern weil er zornig dagegen trat, als er die Tafel verließ.
»Wie?«, durchschnitt Judiths Stimme den Saal. »Ist das alles, was Ihr ertragen könnt?«
Er hielt inne, gewahrte, dass Madalgis aussah, als wäre ihr zum Weinen zumute, und dass sie, ebenso wie Joveta, von Scham, Trotz und Furcht zerrissen schien.
»Ihr wisst doch gar nicht, was ich zu ertragen bereit bin!«, schrie er unbeherrscht. »Ihr wisst auch nichts über mein Leben! Also verschont mich mit Eurem Gespött und Eurer Verbitterung, denn das ist es doch, was Euch zu Euren Worten treibt! Ihr seid eine verbitterte, einsame Frau, die ihres Lebens nicht mehr froh wird!«
Ein Anflug von Röte überzog Judiths bleiches Gesicht, machte es lebendiger. Nun war es Ludwig, der aufsprang. »Sie ist meine Sch-Sch-Schwester und die Tochter des K-K-K-Königs! So redest du nicht mit ihr!«
Balduin fühlte, wie seine Zähne knirschten. Sein ärger wucherte plötzlich viel tiefer. Nicht länger starrte er nur Judith an, sondern ebenso hasserfüllt auch auf ihren Bruder.
»N-n-nimm das zurück!«, befahl jener. »Nimm diese B-B-B-Be-leidigung zurück!«
Nie waren derart giftige Gedanken durch Balduins Kopf gejagt. Er wusste nicht, wie lange er sie noch bändigen konnte.
Du Scheusal!, durchfuhr es ihn. Machst mich zum Mörder armer Bauern und bringst mich obendrein hierher, wo …
Er wusste nicht wohin mit Grimm und Verbitterung, ahnte nur, dass er kein Ende mehr finden würde, wenn er erst begann, sie auszuspeien.
Doch ehe er ein Wort sagen konnte, stand Judith auf, leiser alsdie beiden Männer. Sie trat zu ihrem Bruder, legte ihre Hand auf seinen Arm – jene Geste, die er eben noch gemieden hatte. Die Röte war wieder aus ihrem Gesicht gewichen, doch ihre Stimme klang ungewöhnlich zahm.
»Lass ihn gehen«, sprach sie, »Ich bin ihm nicht gram. Ich mag die Menschen, die die Wahrheit erkennen und mutig genug sind, sie auszusprechen. Und was er gesagt hat, das muss man ihm lassen, ist die Wahrheit.«
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XIV. Kapitel
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Die Kälte, die Balduin im Freien empfing, war nicht frisch und klar, sondern klebrig. Die vielen kleinen Nasenhärchen wurden so starr, dass ihm das Atmen schwerfiel. Verstaubt schienen Himmel und Luft, als er sich umblickte.
Der Aufenthalt in Senlis währte nun schon den vierten Tag, und er war dankbar, dass für heute die Abreise anstand – von gestern auf heute nur aufgrund des unerwarteten Schneefalls verschoben. Er sollte sie vorbereiten und war auf dem Weg zum Stall zum ersten Mal seit langem allein. Seit der unseligen Auseinandersetzung am Morgen des ersten Tages hatte sich Judith nicht wieder gezeigt, sodass er von Streit und Sticheleien verschont geblieben war. Doch Ludwigs Gegenwart stellte sich als nicht sonderlich wohltuender heraus. Seine Freundlichkeit, zu der er nach Judiths letzten Worten unerwartet übergegangen war, deuchte Balduin verlogen, und sein Lächeln, schneidend wie die Kälte, die Balduin umgab, quälte ihn. Schon damals, als Ludwig ihm befohlen hatte, die armen Bauern zu ihrer Hinrichtung zu überführen, hatte er gezweifelt, die Gesellschaft des Königssohns jemals wieder unbeschwert ertragen zu können. Doch in den letzten Tagen war er obendrein immer hoffnungsloser geworden, wie er sie jemals würde abschütteln können.
Nun, zumindest in diesem Augenblick war er von seiner Nähe erlöst und fühlte sich erstmals nicht zu gelähmt,
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