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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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ihm gesagt hatte. Jener hatte angezweifelt, ob den geistlichen Herren ob ihrer
Auctoritas
gleiche Privilegien zustehen dürften wie den weltlichen ob ihrer
Potestas,
und hatte geäußert, dass es zu einem Mann Gottes nicht passe, auf weichen Daunenkissen sitzend und in kostbarste Seide gekleidet die besten Sänger und Musikanten mit allen möglichen Instrumenten kommen zu lassen, um wie ein weltlicher Herrscher Feste zu feiern.
    Ob Judiths Verbitterung auch daher rührte?
    Er wollte nicht darüber nachdenken und war alsbald abgelenkt, da sich der Hof weiter füllte: mit Reitern und Wagen und mehreren Männern – darunter der Verantwortliche für die Hospize –, die erschienen waren, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Ohne Zweifel war deren Stand ein hoher, denn sie trugen edle Pelze, Stiefel aus prächtig gefertigtem Leder und glitzernde Fibeln und Broschen, die ihre Umhänge zusammenhielten.
    Wahrscheinlich sind es Gäste des Bischofs, ging es Balduin durch den Kopf – ehe ihm einfiel, was ihm Graf Robert, der dort selbst regelmäßig Aufenthalt genommen hatte, einst über Senlis erzählt hatte. Senlis nämlich war der Ort, von dem aus die Münzprägung geleitet wurde. Regelmäßig wurden die Grafen aus dem ganzen Land dorthin gebeten, und ein jeder erhielt fünf Pfund Silber aus den königlichen Beständen. In den darauffolgenden sechs Monaten mussten sie dafür Sorge tragen, dass die Prägung der neuen Münzen durchgeführt wurde, und hernach mit einem Stellvertreter und einem Münzmeister erneut in Senlis erscheinen, um die entsprechende Stückzahl an Pfennigen abzuliefern. Nur solcherart, hieß es, könne der Wert des Geldes bewahrt werden.
    Die gräflichen Gäste erweckten nicht nur Balduins Aufmerksamkeit. Hinter ihm entstand große Unruhe, und während er anfangs noch meinte, sie käme von den Wohnbezirken der Handwerker,sah er schließlich eine Schar Bettler, die in den Hof stürzten, die einen aufrecht, die andern humpelnd, wieder andere – die entweder lahmten oder aber keine Beine mehr hatten –, indem sie sich auf ihren bloßen Händen daherschleppten.
    Für gewöhnlich saßen sie dicht gedrängt unter den Säulen der Kathedrale Sankt Petri et Reguli oder des benachbarten Klosters, wo sie gerade in der Winterszeit stets aufs Neue versuchten, sich in die Kirchen einzuschleichen, um es warm zu haben. War der Küster nachsichtig, hatten sie Glück. Doch Balduin war sicher, dass der Bischof von Senlis über die prächtig ausgestattete Kirche streng wachen ließ, auf dass ihm keiner dieser geringsten Brüder etwas stehlen konnte.
    Gott hätte alle Menschen reich machen können, fielen ihm Bruder Ambrosius’ Belehrungen ein, aber er hatte gewollt, dass es Arme gab, damit sich die Reichen von ihren Sünden loskaufen konnten.
    Balduin verzog die Stirne, als ihm der üble Gestank der erbarmungswürdigen Horde entgegenschwappte, von Schmutz, Schweiß und Fäulnis, nässenden Wunden und zahnlosen Mäulern.
    Sein Interesse für die Münzprägung schwand augenblicklich, und er war froh, den Hof zu verlassen und sich der eigentlichen Pflicht im Stall zu widmen. Der Geruch von Tierleibern, Stroh und Erde, der ihn hier empfing, war ihm ein lieblicher Duft.
    Rasch befahl er den Knechten, die Pferde des Prinzen und seiner Begleiter zu satteln, schloss aber das eigene Tier aus, um das er sich selbst kümmern wollte. Dann trat er zu seinem dunklen Hengst – ein getreuer Gefährte in vielen Schlachten – und fütterte ihn mit ein paar getrockneten Apfelspalten, die er in seinem ledernen Umhangbeutel mit sich trug.
    »Nun«, sprach er zu dem Tier, »du freust dich nicht minder als ich, dass wir endlich von hier fortkommen, nicht wahr?«
    Das Pferd wieherte leise. Wie er hatte es eine Bewegung beim Stalltor wahrgenommen. Balduin fuhr herum, und als er den Schatten einer Frauengestalt gewahrte, dachte er zunächst, es sei Madalgis, die endlich mit ihm reden würde. Doch es war wederMadalgis noch die kecke Joveta, sondern jene, mit der er hier am wenigsten gerechnet hatte.
     
    Judith sah verändert aus, nicht ganz so leblos und starr wie sonst, als würde eine Umgebung, in der es nach Pferdemist stank und es dampfend von den warmen Leibern der Tiere aufstieg, sie erden und ihr ein menschlicheres Antlitz geben. Balduin konnte sich nicht erinnern, sie bislang so forsch, aufrecht und vor allem schnell gehen gesehen zu haben. Sie trat zu einem der Pferde – eine weiße Stute mit wachsblonder Mähne und kohlschwarzen, etwas

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