Das Geständnis der Amme
Zugluft; golden waren auch die Haarbänder, mit denen die einzelnen Strähnen umwunden waren. Der durchsichtige, seidene Schleier wurde von der
Vitta,
einem aus Goldbrokat gewebtem Band, gebändigt, und ihre
Palla,
der Umhang, wurde bis zu ihren Füßen durch angeheftete Edelsteine in Falten geworfen und an der Brust mit einer mondsichelförmigen Fibel zusammengehalten.
Ihre ansonsten bleichen Wangen waren ein wenig gerötet, entweder von der frostigen Winterluft oder von ihren erregten Worten.
»Ihr zählt weder zu den Namenlosen noch zu den Gefallenen, Königin«, gab er zurück.
»Und darüber soll ich mich freuen?«
Wie werde ich sie nur wieder los?, dachte Balduin unruhig.
»Nein«, gab sie selbst die Antwort, »darüber freue ich mich nicht. Ihr selbst habt doch gesagt, dass ich eine verbitterte Frau bin, die ihres Lebens nicht mehr froh wird.«
Sie trat noch einen Schritt näher.
»Ich habe gesagt, dass Ihr das seid … nicht, dass Ihr das sein müsst«, knurrte er und fühlte sich zunehmend in die Enge getrieben.
»So, so«, sagte sie leise, »das heißt, mir fehlt nur die rechte Einstellung. Ich brauchte lediglich ein wenig mehr an Demut, an Frömmigkeit, an Bescheidenheit – und ich könnte glücklich sein?«
Wenn er ehrlich war, dann war es das, was er dachte, doch er wollte ihre Worte nicht bestätigen. »Mag Euch das Leben nicht immer leicht erscheinen«, entfuhr es ihm stattdessen, »was sind schon Eure Nöte … gemessen an den meinen?«
Sie öffnete ihre Lippen, sodass er schon meinte, sie würde über ihn lachen. Doch erstmals lag nicht Hohn in ihren starren Zügen, sondern ehrliches Interesse. »Welche Nöte, Balduin?«
Ihre Stimme klang milder, als sie seinen Namen nannte, ihr Blick wurde ein wenig weicher. Doch gerade darum fühlte er sich noch mehr in die Enge gedrängt, war überzeugt, sie ködere ihn mit vermeintlicher Freundlichkeit, um ihm sogleich noch giftiger zuzusetzen.
»Nein!«, schrie er unbeherrscht. »Ihr denkt doch nicht ernsthaft, ich würde Euch mein Innerstes offenbaren? Ihr spottet nicht noch einmal über mich, Ihr nicht! Ihr beklagt Euch, dass man Euch ein Leben zugewiesen hat, für das Ihr Euch selbst nicht entschieden habt – aber denkt Ihr, ich habe die Freiheit zu tun, was ich will?«
Sie legte den Kopf schief, als würde sie nachdenken oder als könnte sie dadurch seine Miene genauer mustern.
»Ich war grade fünfzehn Jahre alt, als ich Witwe wurde und den Sohn meines ersten Gatten zum Mann nehmen musste«, sagte sie leise. »Wer weiß, was der Adel von Wessex sonst mit mir getan hätte. Und jetzt? Bis auf kurze Ausritte darf ich Senlis nicht verlassen. Mein Vater sucht einen neuen Gatten für mich. Nicht einmal ein Kloster gewährt man mir als Zufluchtsort, denn sonst wäre ich ja für die hohe Politik und ihre Bündnisse verloren. Manchmal wundert es mich, dass man mir überhaupt gestattet,frei zu atmen. Aber was zwingt Euch, Balduin, ein Krieger zu sein, wenn nicht die Lust zu töten?«
Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten. »Die Lust?«, fragte er. »Die Lust?«, schrie er noch einmal. »Ihr glaubt, ich fände Freude daran, Normannen zu schlachten?«
Sie machte keinen weiteren Schritt mehr auf ihn zu, neigte sich aber sacht vor, sodass ihr Gesicht näher an seines rückte. »Ja, das glaube ich«, stellte sie ruhig fest. »Ich weiß, es gibt der Gründe viele, die Normannen abzuwehren. Sie sind Feinde, sie besetzen unser Land, sie brennen unsere Dörfer nieder, morden Menschen, schänden Frauen. Und dennoch glaube ich nicht, dass man einen von euch erst mühsam überreden, ja gewaltsam zwingen müsste, das Schwert zu heben. Das tut ihr doch bedenkenlos und mit Wonne! Und mit welchem Leuchten im Gesicht sprecht ihr später darüber, wem ihr welche Gliedmaßen abgehackt, die Augen ausgestochen und das Herz durchbohrt habt!«
Er schüttelte unwirsch den Kopf. »Ihr irrt Euch! Ihr irrt Euch so sehr! Ihr habt keine Ahnung, nicht die geringste … Was ich Euch alles erzählen könnte! Aber es würde sich ja doch nicht lohnen, Ihr seid ja nur ein Weib!«
Seine Fäuste hatten sich gelockert, doch seine Hand fuhr unwirsch durch die Luft, als wollte er unsichtbare Feinde schlagen.
Ihr sanftes Lächeln glättete sich. Mit einem Mal wirkte ihr Gesicht, eben noch lebendig vor Neugierde, gelangweilt. Sie zuckte die Schultern, als wäre er es nicht wert, noch ein Wort an ihn zu verschwenden. Dann drehte sie sich um. »Wenn Ihr meint …«
Seit sie hier
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