Das Geständnis der Amme
im Stall erschienen war, hatte er darauf gewartet, ihr endlich wieder zu entkommen. Doch ihr plötzlicher Abgang verwirrte, beleidigte ihn. Er hatte gedacht, dass ihre schonungslosen Worte das schlimmste Zeichen ihrer Verachtung wären – nun erkannte er es in der schroffen Bewegung, mit der sie ihm den Rücken zuwandte. Sie ging von ihm fort, nicht einmal schnell, als wollte sie fliehen, sondern quälend langsam. Er ertrug es weniger als sämtliche ihrer Worte.
»Es ist nicht wahr!«, schrie er ihr unvermittelt nach, ohne zu wissen, welche Macht ihn dazu trieb. »Was Ihr sagt, ist nicht wahr! Der Krieg bereitet mir keine Freude, das hat er nie getan! Manchmal mag es den Anschein erweckt haben, ich würde gerne kämpfen, und es stimmt gewiss, dass ich lieber in neue Schlachten reite, als über vergangene nachzudenken. Aber Freude, nein, Freude finde ich nicht daran. Ich will nicht töten! Ich … ich wollte auch … ihn nicht töten, ich wollte es nicht, aber … aber ich wusste nicht, was ich anderes hätte tun können. Alle erwarteten es von mir, er hatte doch meinen Vater auf dem Gewissen.«
Judith drehte sich um, diesmal abrupt. »Wen wolltet Ihr nicht töten?«, fragte sie. »Sagt mir, Graf Balduin, wen?«
Wieder schüttelte er den Kopf, diesmal, um sich vor seinen Erinnerungen zu schützen, doch sie schwappten in Wellen hoch, manche kraftlos, sodass es nur an ihren Rändern weiß spritzte, andere mit der Wucht einer klatschenden Ohrfeige. Nicht mild und klar war das Seelenwasser, das sie mit sich trugen, sondern eine salzige, bräunliche Brühe. Sein Gesicht brannte, seine Kehle fühlte sich verätzt an.
»Von wem sprecht Ihr?«, fragte sie wieder.
Ihre sanfte, fast flüsternde Stimme brach seine verschlossenen Lippen leichter auf als ein herrischer Befehl.
»Eyvindr«, stammelte er. »Er hieß Eyvindr. Ich kannte seinen Namen. Man darf den Namen seiner Feinde nicht kennen, aber ich konnte nicht verhindern, dass er ihn mir sagte. Er hat … er hat mich doch geheilt und gepflegt, er hat mir zu essen gegeben, er hat mir von sich erzählt. Sie sind keine Tiere, die Normannen, auch wenn alle Welt das glaubt. Sie sind Menschen wie wir und keine Boten der Hölle. Eyvindr hatte nichts mit der Hölle gemein, er war schön wie ein Engel, so feingliedrig, als würde er sich jeden Augenblick in Luft auflösen, ja, als würde er gar nicht auf festem Boden gehen. Als er … als er noch lebte, da dachte ich stets, es würde kein echtes Blut in seinen Adern fließen, kräftiges, rotes, pulsierendes. Das war natürlich ein Irrtum … Er starb, wie alle Menschen sterben, qualvoll und schmutzig und …«
Er brach ab.
»Was ist geschehen?«, fragte sie. »Erzählt mir, was geschehen ist!«
Er hatte nicht gemerkt, dass sie wieder zu ihm getreten war, doch nun stand sie vor ihm, ganz dicht, nicht viel kleiner als er, nur schmaler, zarter. Unverwandt starrte sie ihn an. »Erzählt es mir!«, wiederholte sie. »Kein Gebot dieser Welt wird mich je glauben lassen, dass es besser ist, zu schweigen als zu reden. Worte vergiften, solange sie schlummern, nicht, wenn sie erwachen. Erzählt es mir!«
Noch kämpfte er dagegen an, doch das laute Rauschen in seinen Ohren verführte ihn dazu, sich einfach mitreißen zu lassen. Eben noch hatte er geschrien, nun sagte er leise: »Ich habe ihn getötet.«
Ihr Blick war nicht mitleidig, auch nicht neugierig, nur irgendwie gierig. Als wollte sie seine Seele aus dem Leib saugen, sie unverhohlen beglotzen, bis in den kleinsten Winkel, um sie ihm erst danach wieder zu überlassen, nicht weniger verwundet als zuvor, aber vielleicht bereinigt, weil sie in jedem Eckchen gekehrt hatte, in dem Staub und Schimmel wuchern könnten.
»Ich habe ihn getötet«, murmelte er erneut. Er erkannte seine Stimme nicht wieder. Nichts hatte sie gemein mit der eines jungen, kampferprobten Mannes. Wie die eines Kindes klang sie, das vor lauter Schrecken nur mehr piepsen kann, hoch und dünn. »Ich habe ihn getötet. Mein Vater Audacer hat gesagt, geh hin und schlachte meinen Mörder! Und das habe ich getan. Ich habe ihn nicht einfach nur getötet, ich habe ihn abgeschlachtet, obwohl ich wusste, dass es Unrecht ist, dass ich es nicht möchte und dass meine Seele nie wieder heil wird, wenn ich es tue. Aber ich hab’s getan. Ich kann nicht einmal sagen, dass in diesem Augenblick Dämonen in mich gefahren wären, denn mein Verstand war klar … so klar. Das ist Eyvindr, dachte ich, der Engel aus dem Norden, mit
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