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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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dem ich einige Tage zusammengelebt habe, und ich werde ihn töten, weil er meinen Vater getötet hat, obwohl mein Vater mich weder liebte noch wollte, nie hat er mich geliebt oder gewollt. Ich habe mein Schwert gehoben und seinenSchädel in der Mitte entzweigeschlagen. Er war zart und klein und blond, und ich habe ihn geschlachtet wie ein Tier. Das Blut spritzte wie eine Fontäne, desgleichen das Weiße im Inneren des Kopfes. Es blieb auf meinen Wangen kleben, ist von dort auf meine Brust getropft … Ich werde es nie vergessen. Ich werde mir nie vergeben.«
    Plötzlich lag ihre Hand auf den Wangen, von denen er gesprochen hatte, nicht streichelnd, vielmehr tastend, als wollte sie fühlen, ob er Fieber hatte. Es war eher prüfend als mitleidig – und darum erträglich.
    Er fühlte, wie Schweißperlen aus seinen Poren sickerten, obgleich es so kalt war, dass der Atem zum grauen Nebel wurde. Ihr Gesicht war weiß, gewiss fror sie wie er. Doch ihre Hand war warm. Er fühlte jeden einzelnen Finger, obgleich sich diese kaum rührten, fühlte den sanften Druck, wie er sich kurz verstärkte, dann verflüchtigte.
    Für die Dauer eines Wimpernschlags kam ihm der irrwitzige Gedanke in den Sinn, dass er fallen und sterben würde, wenn sie ihn nicht hielt. Doch dann zog sie die Hand schon wieder zurück, senkte die Augen. Der Augenblick der Nähe, von dem er nicht wusste, ob es ihn überhaupt gegeben hatte in dieser schmerzenden, sehnsuchtsvollen, reinigenden und zugleich aufreibenden Intensität, war vorüber.
    Er wich zurück, wollte nicht der Erste sein, der das Schweigen mit Worten füllte, mit gewiss hilflosen, gewiss armseligen. Es schien unmöglich zu benennen, was eben geschehen war.
    Auch sie sprach nicht. Sie drehte sich um, ging durch den Stall, aufrecht und starr zuerst, dann kurz wankend, als schlüge eine letzte Welle seines Ausbruchs über ihr zusammen. Etwas stach in seine Brust, etwas Heißes, Freudiges, Erregtes. Vielleicht die Erkenntnis, dass sie von seinen Worten tief bewegt war, vielleicht auch nur ihr Anblick, als sie plötzlich die Hand hob, jene, mit der sie eben noch sein Gesicht berührt hatte, und ihre Finger mit ähnlich sanftem Druck auf ihre Lippen presste.

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XV. Kapitel
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    Ratlos blickte Johanna auf Balduin, wusste nicht mit ihm umzugehen, genauso wenig wie in den Tagen nach Audacers Tod. Damals hatten Leblosigkeit und Schwermut ihn in einer Welt gefangen gehalten, die sie nicht erreichen konnte – nun war es sein trotziges Schweigen.
    Sie hatte sich über seine Heimkehr gefreut, hatte ihn mit gutem Essen verwöhnen wollen und ihm ein
Sagum,
ein Übergewand, mit prächtigen Schmuckborten eingefasst – zweifellos eine Mühsal, ihre Augen wurden schlechter, und jetzt im Winter war das Tageslicht ohnehin knapp –, doch er hatte sie nur flüchtig angelächelt und war danach wortkarg und verschlossen geblieben.
    In den ersten beiden Tagen hatte sie sich damit abgefunden; schließlich forderten der Graf oder Gerold ihr Recht, befragten ihn nach Neuigkeiten, über die er dank seiner Stellung an Ludwigs Seite verfügte. Doch als sie am dritten Tag zur Abendzeit sein Gemach betrat und er auf ihre Fragen wieder nur einsilbig antwortete, begann sie sich Sorgen zu machen.
    Sie schenkte ihm Wein ein, er nahm nicht davon. Überhaupt schien er länger nichts Alkoholisches mehr getrunken zu haben, sein Gesicht deuchte sie kantiger, der Blick klarer, die Ringe unter den Augen waren verschwunden. Vorsichtig schob sie ihm von dem feinen Weizenbrot zu, das Adallinda gebacken hatte. Johanna konnte Adallinda nicht ausstehen, musste ihr aber zugestehen, dass sie in der Backstube die schmackhaftesten Brote zubereitete, außen knusprig und innen flaumig.
    »Iss doch!«, forderte Johanna, als Balduin ebenso lustlos aufdas Brot starrte wie auf den Wein. »Arbogast hat dir doch einst gesagt, ein Krieger müsse stets so viel essen, wie er nur könne. Er wisse schließlich nicht, wann er wieder zu hungern habe. Da ist es ratsam, ausreichend Fleisch auf den Knochen zu haben.«
    Balduin mühte sich ein Lächeln ab, nahm schließlich brav von dem Brot und stopfte es sich rasch in den Mund.
    »Wie lange bleibst du?«, fragte sie.
    »Weiß nicht«, gab er zurück, undeutlich, weil er noch kaute.
    »Aber … Prinz Ludwig …«
    »Ludwig ist nach dem Besuch bei seiner Schwester zu seinem Vater geritten. Dort wollte er mich nicht dabeihaben.«
    Derart viele Worte hatte er seit seiner Rückkehr noch nicht gemacht, aber deren

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