Das Gewicht der Liebe
Ale zu trinken, um ihren Magen zu beruhigen. Ihr Telefon klingelte, doch sie ging nicht dran. Sie ließ ihren Computer ausgeschaltet. Sie erinnerte sich nicht mehr genau an den Dienstagabend, nachdem sie das Mariposa verlassen hatte, aber sie musste noch irgendwo anders hingegangen sein, denn ihr ganzes Kleid war mit Scotch besudelt. Ihr Blackout hatte ihr nur allzu lebendig die Jahre mit Dale ins Gedächtnis gerufen, und könnte sie sich irgendwo verkriechen, um sich vor sich selbst zu verstecken, so hätte sie das getan. Später am Tag, als ihr Hirn aufhörte, gegen ihre Kopfhaut zu hämmern, war sie klar genug, um sich daran zu erinnern, was BJ zu sagen pflegte: Keine Erfahrung ist so schrecklich, dass man nicht auch etwas daraus lernen kann. Das bedeutete, keine Drinks mehr und keine Liebesaffären im Internet und am Telefon.
Donnerstagfrüh fühlte sie sich wieder im Lot.
Während ihrer vierundzwanzigstündigen Rekonvaleszenz hatte sie viel nachgedacht und sich eingestanden, dass sie niemals glücklich werden würde, solange sie über Johnnys Oldtimer-Garage wohnte. Ellen war nicht zu einem Leben als Pensionsgast geschaffen, und so hübsch dieses Apartment auch war, es würde niemals ein Zuhause sein. Doch sie konnte nicht einfach gehen, solange die häusliche Situa tion derart prekär war. Als Erstes müsste etwas mit Simone geschehen, schon allein der Kinder wegen. Sie würde sich mit Johnny ernsthaft unterhalten und ihm ein paar Wahrheiten über seine Gattin enthüllen müssen. Falls erforderlich, würde sie ihm sogar erzählen, was wirklich am Swimmingpool passiert war und Merell zu ihrem 911-Anruf veranlasst hatte.
Als Ellen dann am Donnerstagmorgen ins Haus hinunterging, war Johnny bereits auf dem Weg in die Arbeit. Im ersten Stock traf sie Simone an, die sich gerade ankleidete und vor Energie und Tatkraft förmlich britzelte. In BJ s Büro war vor Jahren eine junge Frau gewesen, die Amphetamine wie Pfefferminzbonbons gelutscht hatte.
»Hast du etwas eingenommen?«
»Was?«, fragte Simone. »Meinst du Xanax? Wohl kaum!«
»Woher kommt dann diese ganze Energie?« Simone hatte geduscht, und aus der offenen Tür ihres dampfenden Badezimmers strömte der zarte Duft nach Limonenblättern ins Schlafzimmer. »Hast du nicht vielleicht Diätpillen oder etwas in der Art geschluckt?«
»Die Kinder und ich wollen heute Cupcakes backen.« Simones Schönheit barg ein Feuer, wenn sie manisch war. »Magst du uns helfen?«
Auf Ellens Liste mit hundert Möglichkeiten für den heutigen Tag nahm das Backen mit ihrer Tochter und ihren Enkelinnen eindeutig den untersten Platz ein. Dennoch fragte sie sich, ob sie Simone bedenkenlos allein lassen könne, und ob ihr Vorsatz, eine neue und bessere Ellen zu sein, auch das Backen von Cupcakes erforderlich machte.
»Wo ist Merell? Wird sie tagsüber da sein?«
»Natürlich. Die Schule beginnt erst nächste Woche.«
»Lass dir von Merell helfen, Simone. Sieh zu, dass du dich nicht überforderst.«
»Mir geht’s gut, Mom. Wirklich. Du musst nicht hier bleiben. Hast du irgendwelche Pläne?« Sie zückte eine Augenbraue. »Eine Verabredung zum Kaffee?«
Ellen spürte, wie ihre Wangen erröteten. In sachlichem Ton sagte sie: »Ich werde im Hob Nob frühstücken. Allein. Danach habe ich ein paar Termine.«
Sie würde pochierte Eier und Speck bestellen und während des Essens die Immobilienanzeigen lesen. Seit heute früh war sie voller Pläne.
Obwohl Ellen nach BJ s Tod mehrere Monate lang halb verrückt vor Kummer gewesen war, hatte sie doch noch immer dafür gesorgt, dass ihre Lizenz als Immobilienmaklerin nicht auslief. Sie hatte die Vadis Group damals verkauft, und die neuen Eigentümer hatten den Namen behalten, um aus dem Ruf der Firma Kapital zu schlagen. Ellen wusste, man würde sie dort jederzeit wieder einstellen, doch sie wollte nicht für jemand anderen arbeiten.
Ihr gefiel der elitäre Klang des Namens, den sie ihrer eige nen Immobilienfirma geben würde: Ellen Vadis Properties .
In der Küche verkündete Vallis: »Die Milch hat Klumpen.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Simone. »Merell, geh durch das Haus und sieh zu, dass alle Fenster geschlos sen sind.«
Die Klimaanlage surrte unnatürlich laut in dem Bemühen, das große Haus zu kühlen.
Merell sagte: »Daddy sagt, die Klimaanlage ist kaputt.« Sie deutete auf einen Ausdruck mit Telefonnummern, der neben dem Telefon an die Wand geheftet war. »Du kannst den Handwerker anrufen.«
»Schließ einfach
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