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Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campbell Drusilla
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verlassen könne, dass sie die Wahrheit sage. Jetzt wusste sie, dass Menschen die ganze Zeit logen, ganz so, wie es ihnen gerade passte. Sie fühlte sich betrogen.
    Sie blickte aus dem Autofenster auf die Straße hinaus, die sie noch niemals gesehen hatte, und ihre Gedanken wanderten zu der Frage, wie es wohl wäre, allein in einer Stadt zu leben, in der alle Straßen so fremd wie diese waren, in der Häuser keine Hausnummern hatten und in der es keine Schilder gab, keine hilfsbereiten Menschen, die einem die Richtung wiesen. In jedem Gebäude verbarg sich etwas Gefährliches, hielt den Atem an, wartete auf den geeigneten Moment, um über einen herzufallen. Das Leben war wie solch eine Stadt. Keine Straßennamen oder Hausnummern, keine Karten oder Stadtführer, nirgendwo absolute und verlässliche Sicherheit.
    Tante Roxanne hielt Merells Hände und küsste die Innenflächen. Es fühlte sich lustig an, eigenartig und kitzlig.
    »Manchmal, Merell, ist es besser, die Einzelheiten auszuklammern, wenn man eine Frage beantwortet. Manchmal verzerren Einzelheiten die Wahrheit.«
    Merell blickte durch die Windschutzscheibe auf die ruhi ge Vorstadtstraße hinaus, menschenleer, nicht einmal eine Katze, die auf einer Mauer spazieren ging. Sie wischte sich eine Träne von der Wange und fragte sich, ob die Menschen, die in den großen Häusern ohne Nummern und den blind starrenden Fenstern wohnten, sich jemals gewünscht hatten, sie würden irgendwo anders leben, weit weg.
    Tante Roxanne sagte: »Wenn wir beide dem Arzt alle Einzelheiten über die heutigen Ereignisse erzählt hätten, hätte das ewig gedauert. Und wahrscheinlich hätte er es gar nicht verstanden. Außerdem hat Dr. Hamid keine Zeit, sich sämtliche Details anzuhören. Er hätte wahr scheinlich manches einfach überhört. Und dann hätte er gar nicht nachvollziehen können, wie schwer das Leben für deine Mutter ist, obwohl sie sich so sehr bemüht und wir alle versuchen, ihr nach Kräften beizustehen. Deshalb fand ich es einfacher, die Einzelheiten auszuklammern.« Sie sah aus, als hätte sie Magenkrämpfe. »Einfacher und sicherer.«
    Merell dachte einen Moment darüber nach, wog Tante Roxannes Worte sorgfältig ab. So verhielt es sich also mit der Wahrheit. Lügen war nichts Schlimmes, aber auch nichts Gutes. Manchmal war Lügen einfach nötig, war die einfachste und sicherste Lösung.

14
    S imone, wir müssen reden.« Roxanne machte die Schlaf zimmertür zu und ging zu ihrer Schwester, die auf dem Bett saß. Deren Gesicht war gerötet und verweint.
    »Olivia geht es gut, aber du musst mit ihr bis spätestens Montag in der Notaufnahme erscheinen, weil sonst von dort ein Bericht ans Jugendamt rausgeschickt wird.« Sie setzte sich auf die Bettkante. »Und wenn das passiert, wird es eine Ermittlung geben.«
    »Du kommst doch mit, ja?«
    »Johnny wird dich begleiten.«
    »Nein. Er muss arbeiten. Und ich will nicht … ich möchte nicht …« Sie schluchzte auf. »Ich kann ihm nicht erzählen, was passiert ist. Wenn ich das tue …« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Du musst mir helfen, Roxanne. Ich schwöre beim Leben meiner Kinder, ich werde dich nie wieder um irgendetwas bitten.«
    Ihr Versprechen bedeutete nichts. In einer Woche oder einem Tag würde sie es bereits vergessen haben.
    »Er will eine Trennung. Ich soll ein eigenes Haus kriegen, und Alicia soll hier wohnen und sich um die Kinder kümmern.«
    »Ich bin sicher, er meint das nicht so, Simone.« Roxanne fühlte eine seltsame Distanz zu ihrer Schwester, war besorgt, aber unbeteiligt, und genau so sollte es auch sein. »Johnny ist erschöpft und steht unter großem Stress.«
    »Ich hätte nie Kinder haben sollen.«
    »Hör auf, dich selbst zu bemitleiden.«
    »Sie wären besser nie geboren worden.«
    »Steh auf, zieh dir was über und geh nach unten. Du brauchst nur im Familienzimmer zu sitzen und darauf zu achten, dass niemandem etwas zustößt. So viel wirst du schaffen. Celia wird das Abendessen zubereiten.«
    »Ich hasse ihr Essen.«
    »Pech für dich. Du wirst es hinunterwürgen müssen.«
    »Warum bist du so gemein?«
    »Ich bin realistisch, und das erwarte ich auch von dir.«
    Roxannes Optionen waren klar: Sie könnte am Bett sitzen und Simone die Hand halten, am Montag könnte sie an der Schule einen Tag Urlaub nehmen und mit Simone und dem Baby in die Notaufnahme fahren, damit Dr. Hamid beruhigt wäre. Sie könnte den Rest ihres Lebens damit verbringen, Simone vor den Konsequenzen ihres

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