Das Gewicht der Liebe
wäre ihm egal. Er würde einen Tobsuchtsanfall kriegen, wenn er hörte, was heute mit Olivia passiert war. Die Erinnerung stieg aus den Tiefen von Simones Gedächtnis empor wie aufgewirbelter Sand vom Grund des Meeres, nahm so viel Raum ein, dass es schwer war, weiterhin an fröhliche Dinge wie Segeln zu denken. Und Cupcakes. Erst heute Morgen hatte sie geplant, Cupcakes zu backen, und jetzt … Vielleicht würde Roxanne Johnny die Sache mit Olivia erklären. Simone würde zuhören und nicken und sich nicht herausreden. Johnny würde sie schrecklich beschimpfen, an den Schultern packen und schütteln, bis sie die Augen fest zusammenkneifen müsste, damit sie ihr nicht aus dem Kopf fielen. Roxanne würde wieder versuchen, ihr zu Hilfe zu kommen, aber er würde sie wegstoßen. Nach einer Weile würde er sich beruhigen und sagen, dass er sie liebe und es ihm leidtue, die Beherrschung verloren zu haben. Und er würde sich freuen, wenn sie ihm von ihren Segelstunden erzählte. Die Unterhaltung war wie ein fertiges Protokoll in Simones Kopf. Und dann begann eine andere, ganz andere Unterhaltung. Johnny sagte ihr immer wieder und wieder, dass sie fast ihr Baby getötet hätte und er genug von ihr habe. Er wolle keinen Sohn, nicht von ihr. Sie sei hilflos und dumm, und er sei ihrer überdrüssig.
Es war, als würde Johnny neben ihr stehen und wie eine Möwe über sie herfallen, die auf ein Stück Brot einhackt, und dabei ständig dieselben grausamen Dinge wiederholen, bis sie wusste, sie würde lieber sterben als noch länger zuzuhören.
Valli zupfte am Hosenbein von Simones Shorts. Wie lange schrie Olivia bereits? Wenn sie sich nicht beeilten, würde Shawn den Laden schließen und nach Hause gehen. Sie würden den Sonnenuntergang verpassen.
»Los-los-los.«
»Was ist mit Libia?«
»Die hole ich später.«
Die Zwillinge sahen entzückend aus mit ihren übergroßen Sonnenhüten und den Flipflops mit den knallbunten Plastikblumen. Simone vergaß die Unterhaltung mit Johnny und sang: »Wir segeln, segeln über die hohe, wogende See.«
Auf dem Treppenabsatz der Garage blieb sie stehen und betrachtete ihre beiden schwarzen Autos. Es war wie die Wahl zwischen Schlamm und Dreck, und bei der Aussicht, mit ihnen irgendwo hinzufahren, verdüsterte sich ihre Stimmung erneut. Warum hatte Johnny beide Wagen in Schwarz geordert? Hätte er sie gefragt, so hätte sie ihm ge sagt, sie wünsche sich ein fröhliches Auto. Ein gelbes. Einen Pirol wie die Oriole .
Der Camaro-Oldtimer kam ihr in den Sinn. Der Yellow Bird war perfekt. Sie würden in einem gelben Vogel zum Hafen fliegen, dann in einen anderen gelben Vogel steigen und über die Wellen fliegen. Sie würde sich verantwortungsvoll verhalten und darauf achten, dass die Mädchen Schwimmwesten trugen.
Sie nahm den Schlüssel vom Haken, sperrte die Tür zur Oldtimer-Garage auf und dachte daran, den Schlüssel anschließend wieder zurückzuhängen, weil Johnny sie lieben würde, wenn sie alles richtig machte.
»Libia schreit«, sagte Victoria, sich zur Küche umdrehend.
»Ich weiß, ich weiß. Aber jetzt muss ich mich erst einmal um euch kümmern.« Sie lachte, damit die Zwillinge merkten, wie glücklich sie war, wie aufgeregt.
Vielleicht waren ja Shawns Mutter oder Vater im Laden. Sie würden sich freuen, sie zu sehen, und überrascht sein, dass sie Zwillinge hatte. Sie stellte sich vor, wie sie sagten: »Geh schon mal an Bord der Oriole . Fühl dich wie zu Hause.«
Sie öffnete die Tür des Camaro und überprüfte, ob der Schlüssel in der Zündung steckte, wo er sein sollte. Sie klappte den Fahrersitz nach vorne.
»Springt rein, ihr Matrosen.«
Die Zwillinge setzten sich auf die Rückbank, ihre Eimer, Schaufeln und Handtücher zwischen ihnen.
»Wo sind unsere Kindersitze?«
»Ihr braucht in einem Camaro keine Kindersitze.«
»Wo ist mein Hut?« Victoria hob beide Hände an den Kopf und begann zu weinen. »Ich will meinen Hut.«
Er war irgendwo zwischen der Küche und dem Camaro abhandengekommen. »Der Hut ist doch egal.«
»Ich will meinen Hut.« Victoria trat gegen den Vordersitz. »Ich will nicht anbrennen wie Libia.«
»Wo ist der Gurt?«, schrie Valli gegen Victorias Gekreische an. »Ich finde ihn nicht.«
Simone musste erst eine Minute suchen, ehe ihr bewusst wurde, dass der alte Camaro keine Sicherheitsgurte auf dem Rücksitz hatte.
»Ich möchte im Van fahren«, sagte Valli schmollend. »Ich mag das Auto nicht.«
Der Mercedes und der Cayenne hatten jeder
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