Das Gewicht des Himmels
redete nicht um den heißen Brei herum.
Das gefiel ihm, und es tat ihm leid, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. »Das spielt doch keine Rolle. Ich freue mich immer, wenn ich jemanden treffe, der mit meinem Schwiegersohn zusammenarbeitet.« Es war zu spät für Galanterie, aber wenigstens sollte keiner an seinen Manieren Anstoß nehmen.
»Ich habe eine Theorie, was verheiratete Menschen angeht, Professor Finch, da ich selbst lange verheiratet war. Sie scheuen von Natur aus das Vakuum. Ich bin sicher, Ihr Schwiegersohn hat es gut gemeint. Nehmen Sie es ihm nicht allzu übel.« Ihr Lächeln war jetzt wärmer, echter, und bei der Erwähnung ihrer Ehe schlich sich eine Spur Wehmut in ihre Stimme.
»Ich glaube, es fällt mir schwer, mich schon als Single zu betrachten«, erwiderte er.
»Sie haben vor gut einem Jahr Ihre Frau verloren?«
Finch fragte sich, welche Aspekte seines Lebenslaufs Kevin noch aufs Tapet gebracht hatte. »Ich fühle mich immer noch sehr verheiratet. Das wird wohl auch immer so bleiben.«
»Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Ich warte ständig darauf, dass es leichter wird. An manchen Tagen denke ich nur hin und wieder an ihn, gewöhnlich, wenn ich ganz simple Dinge tue, den Müll herausbringe, an der Milch rieche, um festzustellen, ob sie sauer ist. Warum ausgerechnet dann? Was meinen Sie? Und dann gibt es andere Tage, an denen ich gar nicht erst aufstehen will. Entschuldigen Sie, das ist nicht sehr taktvoll von mir. Aber es tut so gut, sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht die üblichen tröstenden Floskeln von sich gibt. Die Zeit heilt alle Wunden. Sei doch froh über die vielen gemeinsamen Jahre, die ihr miteinander verbracht habt . Aber ich setze Ihr Verständnis einfach voraus, dabei kennen wir uns überhaupt nicht.«
»Das ist schon in Ordnung. Ich habe auch ein paar von diesen Sprüchen gehört. Waren Sie lange verheiratet?«
Ihre Augen wurden feucht, und Finch verwünschte seine Neugier.
»Dreißig Jahre. Gleich nach dem College. Er war Orchesterpianist. Er hat im Orchestergraben eines leeren Konzerthauses um meine Hand angehalten.«
Finch nickte stumm. Ihr Mann war also ein Romantiker gewesen. Er selbst hatte Claire vor ihrem Lieblingsgemälde im Metropolitan Museum einen Antrag gemacht, The Passing of Summer von Harry Wilson Watrous. Es sagte viel über sie aus, hatte er immer gedacht, dass sie sich zu einem so stillen und doch von Sehnsucht durchglühten Bild hingezogen fühlte. Sag mir, warum es dir gefällt, hatte er sie gefragt, und Claire hatte ohne Zögern geantwortet, als hätte sie sich diese Frage selbst schon oft gestellt: Es hat etwas so wunderbar Melancholisches – die Kirschen im Cocktailglas, die Libellen in der Luft. So ein hübsches Mädchen, und doch ist sie ganz allein. Das erinnert mich daran, dass es traurige Momente gibt, aber man sollte sie nicht suchen oder zu oft finden. Genau in diesem Augenblick hatte er sich in sie verliebt, sein ganzes Wesen hatte sich auf eine Art geöffnet, wie er es nie für möglich gehalten hatte.
Meredith Ripley strich langsam mit dem Zeigefinger über den Rand ihres Weinglases. Sie sah bedrückt aus, und Finch fragte sich, ob ihm dieses Schicksal nun auch bevorstand: Feiertage, die das exakte Gegenteil dessen sein würden, was sie einst waren, Tage, bleischwer von Einsamkeit, an denen er vor lauter Niedergeschlagenheit gar nicht erst aufstehen würde.
»Falls Sie mal bei einer Tasse Kaffee über Ihren Mann reden möchten«, sagte er, »würde ich mein Möglichstes tun, keine belanglosen Plattitüden von mir zu geben.«
»Das ist nett von Ihnen. Das würden Sie sicher auch anbieten, wenn Sie es nicht so meinten.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass Sie sich täuschen. Mich hat noch nie jemand beschuldigt, zu nett zu sein.«
Er wollte sich Lydia in der Küche vorknöpfen, wo sie sich versteckt hatte, aber bevor er etwas sagen konnte, stürzte sie auf ihn zu und warf ihm die Arme um den Hals. »Es war nicht meine Idee.«
»Da bin ich aber erleichtert. Wenn ich hier zu oft auftauche …«
»Natürlich nicht. Kevin dachte nur, nach dem Debakel an Thanksgiving, wo wir zwei ohne Claire gar nicht mehr weiterwussten … Ich hätte es nie zulassen dürfen.«
»Lydia, deine Mutter war die Liebe meines Lebens. Nicht jeder findet so etwas. Ich hatte Glück. Ja, sie fehlt mir, aber ich fühle mich wohler, wenn ich allein bin und sie vermisse, als wenn ich mit jemand anderem zusammen bin und so tue, als würde ich
Weitere Kostenlose Bücher