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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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kleinen Block, der immer in seiner Jackentasche steckte, ein paar Notizen – hauptsächlich Fragen – und schob beide Fotografien wieder in ihre Umschläge zurück, wobei er sich Stephens Reaktion vorstellte, wenn er sie zu sehen bekäme. Der Gedanke an Stephens Gesichtsausdruck verschaffte ihm eine enorme Befriedigung. Ein alter Hund kann also doch noch einen Knochen ausbuddeln . Gleich wurde auch der Gedanke an ein Abendessen mit Stephen viel reizvoller.
    Bis zum Samstag hatte sich Finch in helle Aufregung hineingesteigert. Obwohl er Stephen gegenüber immer darauf bestanden hatte, dass nichts, was sie über die Gemälde herausfanden, in Anwesenheit anderer diskutiert werden durfte, ertappte er sich dabei, dass er Stephens Nummer wählte, bevor er zu Lydia aufbrach. Stephen über die Existenz der Fotos zu informieren, war schließlich nicht das Gleiche, als würde er ihm die Bilder zwischen zwei Gängen heimlich unter dem Tisch zustecken. Aber es nahm niemand ab, und er hörte auf dem Anrufbeantworter nur denselben schrägen Text wie immer: »Ich bin’s, Stephen. Sprechen Sie nach dem Signalton. « Die Betonung liegt auf nach, hatte Stephen erklärt, denn er ärgere sich immer, wenn die Leute » beim Signalton« sagten, als sollten die Anrufer versuchen abzuschätzen, wann der Ton anfing, und dann im gleichen Moment losplappern. Finch legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
    Weihnachtsmusik drang aus Lydias Haus, aber als sie Finch die Haustür öffnete, war sie blass und angespannt.
    »Was ist los?«, fragte er, aber sie schüttelte nur abwehrend den Kopf und starrte nervös ins Esszimmer. Er hörte ausgelassenes, glockenhelles Gelächter, untermalt von leiser Unterhaltung. »Ist Stephen schon da? Bin ich spät dran? Du meine Güte, hat er jemanden mitgebracht?«
    »Nein«, sagte sie mit abgewandtem Blick. »Alles bestens. Gib mir deinen Schal.«
    »Lydia.«
    »Geh schon mal rein. Ich komme gleich nach.«
    Finch betrat das Wohnzimmer, wo sein Schwiegersohn gerade einer Unbekannten ein Glas Wein reichte, einer platinblonden Frau mit Betonfrisur, deren Kleidung aus aufeinander abgestimmten Beigetönen bestand.
    »Dad!«, rief Kevin. Finch glaubte, aus seinem Enthusiasmus eine leichte Nervosität herauszuhören. »Ich möchte dich mit einer Kollegin von mir bekannt machen. Das ist Meredith Ripley. Sie ist CSR-Managerin bei Brompton Pharmaceuticals.«
    »CSR?«
    Die Frau streckte die Hand aus. »Die vielen Abkürzungen heutzutage. Ich kann auch kaum noch enträtseln, was wofür steht. Corporate Social Responsibility. Unternehmensverantwortung. Ich arbeite für die Brompton-Stiftung und bin für einige ihrer gemeinnützigen Aktivitäten zuständig.«
    »Wie schön. Das muss eine sehr … befriedigende Tätigkeit sein.« Finch war völlig ratlos. Was machte diese Frau hier? Und wo war Lydia?
    »Oh ja.«
    Darauf folgte eine peinliche Stille, in der Finch jeden Herzschlag, jedes Schlucken und jeden Atemzug der Anwesenden zu hören glaubte.
    »Ich dachte mir, Dad, es wäre doch gut, wenn ihr euch kennenlernt, Meredith und du. Wenn du über Kunst redest, sind Lydia und ich nicht die richtigen Gesprächspartner, und Meredith will schon lange das Programm ›Kunst in der Schule‹ ausbauen, das Brompton in Gang gebracht hat. Ich dachte, du könntest ihr vielleicht ein paar Vorschläge machen.«
    Finch versuchte, das Alter der Frau zu schätzen – zweifellos älter als Kevin, aber deutlich jünger als er selbst –, bemerkte das Fehlen eines Eheringes und ihre leicht angespannte Haltung. Lydia und ich sind nicht die richtigen Gesprächspartner . Wie begriffsstutzig er war! Kein Wunder, dass Lydia bedrückt wirkte. Sie malte sich wahrscheinlich schon seine Reaktion aus.
    Er sah Kevin mit hochgezogenen Augenbrauen an und räusperte sich. »Mit Vergnügen. Ich kenne da einen Doktoranden, der auf der Suche nach einem Projektpraktikum ist. Das hört sich an, als wäre es genau das Richtige für ihn.«
    So. Erfolgreich abgeschmettert. Es wäre unklug gewesen, die viele Freizeit zu erwähnen, die er haben würde, falls er tatsächlich ein Sabbatjahr nehmen musste. Meredith Ripley rückte etwas von ihm ab, und ihr Lächeln bekam etwas Mechanisches. Er bereute seine Schroffheit, bis er nach ein paar Sekunden merkte, dass sie fast erleichtert aussah. Kevin verzog sich mit einer durchsichtigen Ausrede in die Küche und ließ Finch mit der Frau allein.
    »Kevin hat nicht erwähnt, dass er mich eingeladen hat, stimmt’s?« Sie

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