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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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hatte Natalie Schuldgefühle, weil sie Therese weggeschickt hat.«
    Phinneaus streckte den Arm aus, und als sie nicht reagierte, legte er seine Hand auf ihre. »Ich glaube, das Geld war für etwas anderes.«
    »Für was denn? Und was soll das heißen, ASK Therese?« Sie schüttelte ihn ab und stand auf, erleichtert, dass ihre Beine sie noch trugen, auch wenn die Lunge sie im Stich ließ. Am liebsten hätte sie all die sorgsam arrangierten Papierstapel vom Tisch gefegt. »Wir haben beide nicht viel von ihr gehalten, Phinneaus, aber du scheinst anzudeuten, dass Natalie in etwas Kriminelles verwickelt war. Das ist unmöglich. Es muss eine einfache Erklärung geben.«
    »Die gibt es. Ich glaube, du willst sie nur nicht hören.«
    »Versuch’s doch.« Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Was immer er sagen würde, konnte nicht wahr sein, das hatte sie insgeheim schon beschlossen.
    »Also gut.« Er nahm den gelben Block vom Tisch und schlug ein Blatt nach hinten um. Aus den Augenwinkeln erkannte sie ein kompliziertes Schaubild mit Namen und Pfeilen, Fragezeichen und Kommentaren. In seinem Kopf war schon alles geklärt.
    »Ich glaube nicht, dass Natalie dir die Wahrheit gesagt hat. Weder über die Gründe, warum ihr aus Connecticut weggehen musstet noch über die Nacht in der Dachkammer. Nicht einmal über das Grab, das sie dir an jenem Regentag gezeigt hat. Meiner Meinung nach hat sich alles ganz anders abgespielt. Und ich glaube, Therese und Natalie waren die einzigen Menschen, die Bescheid wussten.«
    Ihr stieg ein ekelhaft süßlicher Geruch in die Nase, sodass sie würgen musste und nach Luft schnappte. Sie ertrank, ertrank mitten auf festem Boden, und Phinneaus stand einfach nur dabei und sah zu. Am einfachsten wäre es, ihm sofort den Mund zu verbieten. Sie konnte die Worte denken, aber sie brachte ihre Lippen nicht dazu, sie auszusprechen.
    Er zog sie zurück auf den Stuhl. »Das tut weh, ich weiß. Und es tut mir leid, dass ich dir wehtue.«
    »Dann hör auf.«
    »Alice, du musst den Rest hören. Natalie hat genau Buch geführt. Ich nehme an, sie brauchte Belege für die Versicherung, für deine Medikamente, Blutbilder, Röntgen-Untersuchungen und Besuche beim Rheumatologen. Was auch einleuchtet, denn die Statuten des Fonds haben sicher verlangt, dass sie alle Ausgaben dokumentiert, bevor sie das Geld rückerstattet bekommt. Aber für deine Schwangerschaft gibt es überhaupt keine Belege. Du warst doch beim Arzt, oder?«
    »Natürlich war ich beim Arzt.«
    »Aber es gibt keine Unterlagen über Besuche beim Gynäkologen. Nichts über einen Klinikaufenthalt, keine Rezepte für Schmerzmittel oder Antibiotika. Nichts.« Er verstummte und wandte den Blick ab. »Es gibt keine Bestätigung einer Totgeburt und keinerlei Hinweise auf eine Zahlung an einen Friedhof.«
    »Du meinst, es sieht so aus, als wäre ich nie schwanger gewesen.«
    »Ja. Zumindest wollte Natalie wohl, dass es so aussah.« Er kramte in einem anderen Stapel Papiere und zog einen Umschlag hervor. »Ich glaube, ihre Verbitterung hat sie dazu veranlasst, etwas Unvorstellbares zu tun. Und danach fand sie einfach keine Möglichkeit mehr, es wieder rückgängig zu machen. Das hier habe ich unter ihren Papieren gefunden.«
    Er hielt ihr einen länglichen elfenbeinfarbenen Briefumschlag hin, auf dessen Rückseite in dunklen Lettern die Worte »Immobilienverwaltung Steele & Greene« gedruckt waren. Direkt darunter stand eine Adresse in Hartford. Er fühlte sich schwer an, als sie ihn endlich entgegennahm, war aus Büttenpapier und hatte ein Wasserzeichen. Ein edles, traditionelles Produkt. Ihre Mutter hatte immer Wert auf gutes Briefpapier gelegt: Antwortkarten und Umschläge in zwei Größen, cremefarbene Briefblöcke mit ihren Initialen als Monogramm. Sie hatte ihre gesamte Korrespondenz mit einem silbernen Brieföffner aufgeschnitten, als verdiente jeder einzelne Brief eine eigene kleine Zeremonie. Alice drehte den Umschlag um und las die Adresse: Agnete S. Kessler. ASK. Agnete. Natalie hatte sie nach dem Sturm benannt.
    Der Umschlag fiel ihr aus der Hand und blieb mit der Adresse nach oben auf dem Teppich liegen. Sie starrte ihn an. Eine Adresse in Santa Fe, New Mexiko. Auf die Worte »Zurück an den Absender« folgten drei dicke schwarze Ausrufezeichen, die auch noch dreifach unterstrichen waren. Jemand sollte ihn aufheben, dachte sie. Aber sie war wie gelähmt.
    Es überstieg ihr Fassungsvermögen, aber sie würde es auch in zehn Minuten oder zehn

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