Das Gewicht des Himmels
Kram etwas übrig haben –, aber ich liebe sie.« Stephen warf seine Taschen auf den Rücksitz des Mietwagens.
»Hören Sie bloß auf«, murmelte Finch, und Stephen sah, wie er kopfschüttelnd die Augen zum Himmel verdrehte.
In Houston hatten sie einen anderthalbstündigen Zwischen stopp. Finch wechselte in dieser Zeit ein paar E-Mails mit Lydia, und da Stephen nicht zu hoch pokern wollte, unterdrückte er den Impuls, Finch zu bitten, ob er ihn nicht lobend erwähnen könne. Auf dem Flug nach Albuquerque war Stephen so nervös, dass ihn die Flugbegleiterin fragte, ob er krank sei. Zum ersten Mal seit Beginn der Unternehmung war er sich ihres Erfolgs nicht hundertprozentig sicher. Hätte er doch nur mit Bayber kommunizieren können! Er hatte so viele Fragen an ihn. Auch wenn es ihm selbst irrational vorkam, hatte er immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass der Fund der fehlenden Ge mälde zu Baybers wundersamer Heilung führen würde. Der Anblick des nach Luft schnappenden alten Mannes hatte ihm schrecklich zugesetzt. So etwas wollte er möglichst nie wieder erleben. Er sehnte sich danach, alle in einem Raum zu versammeln – Bayber, Finch, Cranston, seine Mutter. Sie würden ihn anstrahlen und unisono nur einen Satz sagen: Dein Vater wäre stolz auf dich .
»Ich habe von Houston aus einen Wagen für uns reserviert. Die Fahrt nach Santa Fe dauert etwas über eine Stunde«, verkündete Finch bei der Landung. »Wie sehen unsere Pläne aus?«
»Ich habe Zimmer in einem Hotel im Zentrum gebucht. Eins der fünf Hotels auf der Liste. Ich dachte, wir könnten zeitig essen und gleich morgen früh anfangen.«
»Wollen Sie nicht schon heute Abend anfangen?«
Stephen antwortete nicht, sondern rieb sich nur die Hände, um sie von Resten von Erdnusshülsen und Salzkörnern zu befreien, die unter seinen Fingernägeln steckten. »Und wenn Sie nun recht haben, Finch? Sie könnte schon wieder abgereist sein.«
»Na, sie wird uns wohl kaum mit einem Namensschild vom Flughafen abholen.« Finch klopfte ihm auf den Rücken. »Nutzen wir diese eine Nacht, Stephen, auch wenn wir keine Ahnung haben, wie es weitergeht. Wir hauen Cranstons Geld auf den Kopf, trinken guten Wein, schlafen in bequemen Betten, vertilgen morgen ein gewaltiges Frühstück, und dann sehen wir, was passiert. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Die Autos, die Finch mietete, wurden von Mal zu Mal größer, was Stephen für ein schlechtes Zeichen hielt. Der Professor gab Cranstons Geld aus, solange noch etwas vorhanden war. Während er bei jeder Kurve über den Sitz der Geländelimousine schlitterte, wuchs in ihm die Überzeugung, dass Finch ihn nur bei Laune halten wollte.
Finch klopfte auf das lederbezogene Lenkrad und lächelte. »Man kommt sich vor wie auf einer Yacht. Vierradantrieb, beheizte Sitze, DVD-Entertainment-System im Fond.«
»Soll ich nicht lieber hinten sitzen?«
»In der Stadt ist man mit so einem Schiff verloren. Aber hier draußen sind wir praktisch allein auf dem Highway.«
»Vielleicht sehen wir die anderen Autos bloß nicht, weil wir so hoch sitzen.«
Finch warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »In diesem Auto gibt es keine Spucktüten.« Er drückte auf einen Knopf, und das Fenster auf der Beifahrerseite öffnete sich einen Spalt. Kalte, würzige Luft strömte ein, die Stephen in der Nase kitzelte.
»Ich bin nur nicht an die Höhe gewöhnt«, sagte Stephen. Er hatte sich beim Einsteigen fast auf den Vordersitz hieven müssen.
»Das stimmt. Die Luft hier ist dünner.«
Stephen konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so viel freie Ebene um sich gesehen hatte. Die Sonne, deren unteres Drittel von einer Mesa wie mit einem Skalpell abgeschnitten wurde, lag als orangerote Scheibe hinter pastelligen Wolkenbänken. Die Berge hinter Santa Fe waren rauchblau, über ihre Hänge zog sich ein Kreuzmuster aus dunklen, sägeblattförmigen Fichten. An anderen Stellen dominierten stumpfe Erdfarben – die graubraune Grasnarbe neben dem Highway, die Ebene, die sich vor ihnen erstreckte. Es war Spätnachmittag, und die einsetzende Dämmerung verwischte die Konturen und ebnete sie ein.
Santa Fe hingegen tauchte als funkelndes Labyrinth aus niedrigen, klobigen Gebäuden und Lichtern vor ihnen auf. Ein matter Goldschimmer lag über der Stadt. Er strahlte aus den Papierlämpchen auf Gebäudedächern, Mäuerchen und Wegrändern, er flimmerte von Ästen und Dachtraufen, er glühte aus verschlungenen Lichterketten, die über Hecken
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