Das Gewicht des Himmels
geworfen waren wie Netze auf dunkles Wasser. Es war ein magischer, betörender Anblick, der Stephen das Gefühl gab, dass letzten Endes doch noch alles gut werden könnte.
Auch ihr Restaurant war warm und hell vom Kerzenschein. Stephen und Finch aßen und tranken und vertieften sich in ein freundschaftliches Geplänkel. Keiner erwähnte die Gemälde oder die Kesslers oder die Briefe oder das Kind. Es war die Art von Unterhaltung, die Stephen gerne mit seinem Vater geführt hätte. Soweit er sich erinnerte, hatte es so etwas nie gegeben.
Sein Handy summte in der Jackentasche, und Finch runzelte die Stirn. Für diese Art von technologischem Fortschritt hatte der Professor nichts übrig. Er betrauerte den Niedergang der schriftlichen Korrespondenz, des amerikanischen Postsystems und des Schnurtelefons, die alle dafür gesorgt hatten, dass gelegentlich wohltuende Stille herrschte. Stephen checkte seine Nachricht unter dem Schutz der Tischdecke.
»Lydia.« Finchs Stirnrunzeln verflüchtigte sich. »Sie fragt, warum Sie Ihr Telefon nicht angeschaltet haben.«
»Geht es ihr gut? Was ist los?«
»Ihren Fingern geht es allem Anschein nach gut«, antwortete Stephen. »Ich spiele ja gerne den Mittelsmann, aber warum stellen Sie Ihr Handy nicht an und fragen sie selbst?«
Finch stand auf und ließ die Serviette auf den Tisch fallen. »Es ist nach elf, so spät ruft sie sonst nicht an. Können Sie die Rechnung unterschreiben, Stephen? Ich versuche, sie von meinem Zimmer aus zu erreichen. Dort sind die Tasten größer.«
Am nächsten Morgen wachte Stephen mit Kopfschmerzen auf, die sein Gehirn von hinten attackierten, und schluckte ein Aspirin mit dem Wasser, das er auf dem Nachttisch vorfand. Die Höhenlage, der Restalkohol und die Anspannung waren keine guten Voraussetzungen für einen produktiven Tag. Er duschte heiß und schrubbte sich mit einer ganzen Flasche Eukalyptus-Duschlotion ab, die im Badezimmer stand. Sein Kopf wurde klarer, und duftend wie ein ganzer Wald begab er sich hinunter ins Restaurant.
Finch sah aus, als hätte er kein Auge zugetan. Sein Gesicht war käseweiß, an seinem Kinn sprossen Bartstoppeln.
»Lydia ist nicht krank, oder?«, fragte Stephen leicht beunruhigt.
»Nicht direkt. Sie ist schwanger.«
»Oh.« Das war seinen Interessen nicht dienlich. Zweifellos war sie im Lichte dieser Entwicklung noch mehr verknallt in diesen Kelvin . »Freuen Sie sich denn nicht?«
Finch nickte, und ein albernes Lächeln zog ihm die Lippen auseinander. Er sah jetzt schon wie ein närrischer Großvater aus. Stephen bekam Angst, dass er gleich jemanden umarmen würde.
»Junge oder Mädchen?«
»Das weiß ich nicht. Ich meine, sie wollen es nicht vorher wissen.«
Der Mann war völlig aus dem Häuschen. Stephen hatte noch nie so viele glückliche Seufzer am Stück gehört; gleich würde Finch hyperventilieren. Aber der Professor nahm ihn nur kurz in die Arme, schlug ihn kumpelhaft auf den Rücken und rümpfte die Nase, als er das Eukalyptusgel roch. Im Speisesaal bestellte er Sekt und brachte einen Toast nach dem anderen aus: erst auf Lydia, dann auf das Enkelkind, dann auf sich selbst. Dabei nahm er so oft wie möglich das Wort Großvater in den Mund.
»Schön und gut, Finch, ich freue mich wirklich für Sie, aber wir haben Wichtiges vor. Das ist Ihnen aber nicht entfallen?«
»Natürlich nicht.« Aber er wirkte noch genauso geistesabwesend und verwirrt wie zuvor. Stephen schüttelte den Kopf und zwang sich, die Toastkrusten aufzuessen, die noch auf seinem Teller lagen.
Nach dem Frühstück gingen sie in die Lobby und setzten sich nebeneinander auf steife Ledersessel, das Haustelefon auf einem Tischchen zwischen sich. »Es hat wohl keinen Sinn, länger zu warten«, sagte Stephen.
»Nein. Fangen wir an.«
Stephen nahm den Hörer in die Hand. »Können Sie mich bitte mit dem Zimmer eines anderen Gasts verbinden? Der Name ist Alice Kessler.« Er wartete, während der Hotelangestellte die Gästeliste durchsah.
»Es tut mir leid, Sir. Wir haben keinen Gast dieses Namens.«
Stephen legte auf und schüttelte den Kopf. »Soll ich es bei den anderen versuchen?«
»Sollen wir nicht hingehen? Es ist so ein schöner Morgen. Wir könnten dann auf dem Weg gleich in ein paar Galerien hineinschauen. Sie haben doch gesagt, die anderen Hotels liegen an der Plaza, nicht?«
Stephen musste zugeben, dass Finch gute Miene zum bösen Spiel machte. Schließlich konnte ihm nicht mehr viel an dieser Geschichte liegen. Er würde
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