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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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schätzte sie auf sechzehn oder siebzehn, aber ihr Ausdruck – der harte, viel sagende Glanz in ihren Augen – ließ sie älter aussehen. Sie stand hinter dem Sofa rechts neben Bayber. Ihr blondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte, ergoss sich über ihre Schulter und endete in kleinen Ringellocken. Schmale goldene Ringe in ihren Ohren glänz ten im Licht, waren aber eigentlich zu elegant für ihre Aufmachung – eine fahlgrüne ärmellose Bluse und Jeans. Ihre Haut hatte einen warmen Karamelton. Auf den ersten Blick sah Stephen, dass sie eins dieser Mädchen war, die alles bekamen, ohne darum bitten zu müssen. Wie Chloe, ging es Stephen durch den Kopf, und er dachte an die blasse Haut in ihrer Armbeuge. Eine Hand des Mädchens ruhte auf Baybers Schulter. Als Stephen jedoch einen Schritt näher an das Bild herantrat, sah er, dass sie Bayber fest gepackt hielt. Ihre Fingergelenke waren leicht gekrümmt, die Fingernägel bleich. Darunter warf der Stoff von Baybers Hemd Falten. Der andere Arm des Mädchens hing locker herunter und verschwand hinter dem Stoff des Überwurfs.
    Die jüngere Schwester saß neben Bayber auf dem Sofa. Sie sah ungefähr aus wie dreizehn, schien nur aus langen Armen und Beinen zu bestehen und war braun wie eine Indianerin (wie Stephens Mutter es ausgedrückt hätte). Ihre von Sommersprossen übersäten Schenkel steckten in ausgefransten Jeansshorts, und obenherum trug sie eine weite Madrasbluse. Stephen konnte fast die flaumigen goldenen Haare auf der braunen Haut erkennen. Die Beine hatte sie untergeschlagen, wodurch man die Fußsohlen sehen konnte, bedeckt mit Schmutz und schimmerndem Sand. Ihr Haar war offen und fiel in Wellen um ihr Gesicht wie eine sommerblonde Wolke. Eine Hand ruhte auf einem filigranen Vogelkäfig, der auf der Armlehne stand, die zarte Drahttür des Käfigs war halb geöffnet. Die andere Hand des Mädchens lag unter Baybers eigener auf dessen Oberschenkel. Sie hatte den gelangweilten Ausdruck einer Heranwachsenden. Der Blick, mit dem sie Bayber bedachte, verriet Neugier und Duldung, nicht unbedingt Bewunderung.
    Stephen war sprachlos. Im Œuvre des Künstlers gab es sonst nichts, was man mit vollem Recht als Porträt hätte bezeichnen können. Er schaute zu Finch, der seinerseits die Stirn runzelte. Cranston, der mit der Gesamtheit von Baybers Werk weniger vertraut war, sah Stephen an und hob die Augenbrauen.
    »Mr. Jameson? Ihr Eindruck?«
    »Es ist, ähm, es ist …«
    »Verstörend«, sagte Finch. Er schaute Bayber an, als hätte er ihn nie zuvor gesehen.
    Cranston trat näher an das Gemälde heran und lächelte. »Verstörend ist nicht notwendigerweise schlecht, wenn es um Kunst geht. Aber ich wäre sehr daran interessiert, was Sie uns über das Stück sagen können, Mr. Bayber.«
    Bayber schien in Gedanken versunken und nicht fähig, seine Augen von dem Gemälde zu lösen. »Ich kann mich gar nicht richtig daran erinnern.« Seine Stimme schien aus einiger Entfernung zu kommen und hörte sich nach einer Lüge an.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann«, sagte Cranston.
    »Das Bild ist vor langer Zeit entstanden. Ich erinnere mich kaum noch an die Umstände. Aber ich weiß, dass es von mir ist.« Er lächelte Stephen nachsichtig an. »Ich gehe davon aus, dass Mr. Jameson das bestätigen wird.«
    »Aber wenn Sie behaupten, dass Sie sich kaum an die Umstände erinnern …«, fuhr Cranston fort.
    »Ich meine genau das, was ich sage. Die Schwestern – Natalie war die ältere der beiden, Alice die jüngere – waren meine Nachbarinnen, einen Monat lang im Sommer 1963. August war es, glaube ich. Ansonsten gibt es wenig zu erzählen. Man könnte sie vielleicht als Freundinnen der Familie bezeichnen.«
    »Haben sie Ihnen Porträt gesessen?«
    »Nein.«
    Diese Information nahm Stephen mit Erleichterung auf. Er wandte sich wieder dem Bild zu und berührte es flüchtig. »With a moo moo here and a moo moo there …« Er nahm sein Vergrößerungsglas aus der Tasche und untersuchte die Oberfläche, die Pinselstriche, die Pigmente. Am Abend zuvor hatte er Finchs Abhandlung über Bayber in einem rasenden Anfall von Lesewut verschlungen und anschließend noch das Werkverzeichnis in Angriff genommen.
    Da war etwas Ungewöhnliches an den Armen der Mädchen, und zwar an der Außenseite, ganz in der Nähe des Bildrands. An beiden Stellen war Farbe hinzugefügt worden. Aber was hatte Bayber verändert und wann? Er blickte auf, ignorierte

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