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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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der Hut war. Ein bislang unbekannter Bayber, der jetzt erst auftauchte, der Murchison & Dunne anscheinend anvertraut werden sollte – und der in diesem schummrigen, heruntergekomme nen Apartment untersucht werden sollte. Da konnte etwas nicht stimmen. Cranston wirkte so unsicher wie jemand, der gerade gemerkt hatte, dass er als Opfer eines Hütchenspiels ausgewählt worden war.
    Stephen dagegen konnte seine Begeisterung kaum zügeln. Egal, wie die Sache ausging – der heutige Tag war schon jetzt tausendmal besser als alle Tage, durch die er sich in den vergangenen dreißig Monaten gekämpft hatte. Aus irgendeinem Grund hielt ihm das Schicksal nun die Chance zur Befreiung direkt vor die Nase.
    »Ist er da?«, fragte er Finch und deutete auf den hinteren Teil der Wohnung.
    »Er wird sich gleich zu uns gesellen. Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit schon mal einen Drink anbieten, Gentlemen?«
    Stephen hielt sich an dem Whiskeyglas, das Finch ihm reichte, so fest, als wäre es etwas Heiliges. Cranston zögerte. »Ich muss bei klarem Verstand bleiben«, sagte er stirnrunzelnd zu Stephen, der den Gesichtsausdruck seines Vorgesetzten zwar bemerkte, seinen Drink aber trotzdem in kürzester Zeit hinunterstürzte.
    »Während wir warten«, begann Cranston, »könnten Sie uns vielleicht einige Hintergrundinformationen liefern. Mr. Jameson konnte jedenfalls nicht mit besonders vielen Details aufwarten.«
    Finch blieb ruhig. Stephen war erstaunt darüber, dass er sich so gelassen gab. War er denn überhaupt nicht verärgert? Am Telefon hatte er behauptet, das Bild noch nicht gesehen zu haben und auch nichts darüber zu wissen, weder über das Sujet noch über das Entstehungsjahr oder den bisherigen Verbleib. Er wirkte erstaunlich gefasst angesichts der Tatsache, dass das Werkverzeichnis, an dem er Jahre gearbeitet hatte, jetzt nicht mehr vollständig, nicht mehr gültig war und dass sein Freund ihm das Bild anscheinend absichtlich verheimlicht hatte.
    »Ich werde es Thomas überlassen, Licht ins Dunkel zu bringen, da meine Kenntnisse über das Werk ebenfalls beschränkt sind. Ich kann nur sagen, dass ich erst gestern von der Existenz eines weiteren Bayber erfahren habe. Auf Wunsch von Thomas habe ich dann Kontakt zu unserem Kollegen Mr. Jameson aufgenommen.«
    Cranston warf Stephen einen kurzen Blick zu und nickte schwach. Stephen wusste nicht genau, ob dieser Blick Bewunderung zeigte oder ihn einfach nur daran erinnern sollte, dass Cranston das Wort führen würde.
    Cranston ignorierte Finchs Zurückhaltung und fuhr mit seiner Befragung fort: »Ist das Werk vielleicht eine Vorstudie? Für ein anderes Bild, das schon im Katalog verzeichnet ist?«
    Finchs Augen verengten sich. Er ging zur Bar und füllte sein Glas nach.
    »Nein, keine Vorstudie. Soviel ich weiß, handelt es sich um ein ziemlich großes Ölgemälde.«
    »Aha.« Cranston fuhr sich mit dem Daumen über das Kinn. »Sie können meine Überraschung vielleicht nachvollziehen, Professor, und ich hoffe, Sie fassen sie nicht als Mangel an Interesse vonseiten unserer Firma auf. Aber frühere Werke von Bayber sind bekanntlich von größeren Auktionshäusern versteigert worden, und darum bin ich durchaus neugierig, wieso ausgerechnet wir dieses Mal die Glücklichen sein sollen.«
    »Nun, Thomas hat sicher seine Gründe. Sie wissen doch, wie Künstler sind. Alle ein bisschen exzentrisch.« Finch kippte sein Glas in Cranstons Richtung. »Sie zweifeln doch nicht etwa an Ihren Fähigkeiten, einen guten Preis für das Werk zu erzielen?«
    »Ganz und gar nicht. Sollten wir uns dafür entscheiden, das Bild anzunehmen, würden wir ihm allerhöchste Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wir würden uns um jedes Detail kümmern.«
    Stephen musste sich beherrschen, um nicht zu lachen. Als wäre es denkbar, dass sie das Bild nicht annähmen.
    Finch warf Cranston einen scharfen Blick zu. Er ließ sich nicht von ihm einwickeln. »Ich bin mir sicher, dass ihn das beruhigen wird.«
    Die schweren Gardinen, die den Durchgang zu den hinteren Räumen abtrennten, teilten sich. Zuerst sah Stephen die Hand, die den Vorhang zur Seite schob: lange Finger und altersfleckige Haut vor tiefrotem Stoff. Dann betrat der Rest von Thomas Bayber den Raum. Er war ungefähr so groß wie Stephen, nur ein wenig gebeugt vom Alter, und bewegte sich bedächtig, aber nicht, weil ihm das Gehen Mühe machte, sondern als wöge er jeden Schritt sorgfältig ab. Seine Augen wanderten von einem Besucher zum anderen, während er

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