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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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daran denn interessant?«
    Sein Lachen überraschte sie – es war warm und voll, so als hätte die Luft in seinem Inneren dieselbe Temperatur wie die Luft außerhalb. »Nein«, erwiderte er. » Phinneaus . Da sagen die meisten Leute als Erstes, oh, was für ein interessanter Name . Ich wollte Ihnen einfach zuvorkommen.«
    Wie lange war es her, dass sie sich mit jemandem richtig unterhalten hatte? Sie suchte nach einer Entgegnung und fragte sich, ob sie die Kunst des Gesprächs in der Zwischenzeit vielleicht verlernt hatte, genauso, wie sie das Laufen verlernt hatte. Ein angespanntes Schweigen breitete sich aus, und er trat von einem Fuß auf den anderen, während er den armseligen Kuchen ein Stück nach vorne streckte.
    »Saisee, könnten Sie Mr. äh, Phinneaus das bitte abnehmen und ihm einen Tee bringen?«
    »Es ist ein Nusskuchen«, sagte er und übergab Saisee den Teller. »Meine Mama hat immer gesagt, das ist der perfekte Willkommenskuchen. Wenn man den Beschenkten nicht gut kennt, kann man damit nicht viel falsch machen. Es sei denn, derjenige mag keine Pecannüsse, aber dann braucht man ihn auch nicht unbedingt kennenzulernen, meinte sie.« Er unterbrach sich, um Saisee das Teeglas abzunehmen und einen Schluck zu trinken. Danach wischte er sich den Mund mit dem Handrücken ab.
    »Wollen Sie denn keinen Tee?«, fragte er Alice.
    Das andere Glas, das Saisee gebracht hatte, stand unberührt auf dem Tisch neben dem Sessel. »Ich habe gerade keinen Durst.«
    »Ach so.« Mit den Augen huschte er über ihren versteck ten Körper. Sie sah ein Zögern bei ihm, die Andeutung einer Erkenntnis. »Ich bin zu einer ungünstigen Zeit gekommen und werde Ihre Gastfreundschaft nicht länger strapazieren. Aber ich wollte einfach keinen Tag länger warten, um mich Ihnen und Ihrer Schwester vorzustellen.«
    »Danke für den Kuchen.« Sie bemühte sich um einen möglichst neutralen Tonfall, denn sie wollte nicht so abfällig klingen wie Natalie, wünschte sich aber trotzdem, dass er wieder ging. Sie streckte sich unter der Decke, obwohl sie genau wusste, wie nah er bei ihr stand. Zum ersten Mal, seit sie in das Haus gezogen waren, empfand sie eine Art Eitelkeit, fragte sich, wie sie auf einen Fremden wohl wirkte.
    »Es war mir ein Vergnügen. Ich denke, ich sehe Sie und Ihre Schwester mal in der Stadt.«
    Ich denke . Nicht ich hoffe . »Wir bringen Ihnen den Teller so bald wie möglich zurück«, sagte sie und klang dabei brüsker, als sie gewollt hatte.
    Er starrte sie an, bis sie den Blick abwandte. »Das ist nicht nötig. Ich habe genug davon. Saisee, vielen Dank für den Tee. Ich finde selbst hinaus.« Er nickte der Haushälterin zu. Alice schaute zu Boden, bis sie hörte, wie die Haustür sich schloss.
    Saisee machte sich leise murmelnd auf den Weg in die Küche, aber Alice verstand genau, was sie sagte: hochnäsig, unhöflich, unfreundlich. Mit den beiden hab ich mir was aufgehalst.
    Am späten Vormittag konnte sie ihn oft sehen, wenn sie den Vorhang zurückschob, natürlich immer erst, wenn Natalie zur Arbeit gegangen und Saisee anderweitig beschäftigt war. Zuerst beobachtete sie ihn nur, um sich die Zeit zu vertreiben und ihren Kummer zu verdrängen, aber mit der Zeit wurde es zu einem Ritual. Sie war eine geübte Beobachterin. Dieses Talent hatte sie gehegt und gepflegt, und sie hatte nichts davon eingebüßt, weil man sich dafür ja nicht bewegen, sondern im Gegenteil lange Zeit über geduldig still sitzen musste. Sie wurde schon ruhig, wenn sie nur ein Körperteil von ihm zu sehen bekam, er war wie ein Kompass, nach dem sie sich richten konnte. An den Tagen, an denen sie ihn nicht erspähte, fühlte sie sich orientierungslos wie ein Boot in Seenot, taumelte durch einen Nebel von Erinnerungen und Albträumen.
    Im Spätherbst beobachtete sie ihn dabei, wie er mit geschickten Bewegungen Pflanzenzwiebeln in tiefe Löcher versenkte. Die Löcher hatte er zuvor ordentlich ausgehoben, neben jedem einzelnen türmte sich ein kleiner Haufen Erde, und auf dem Rasen leuchteten weiße Flecken aus Knochenmehl. Im Winter sah sie ihn über einen stupsnasigen Kleinwagen gebeugt; sein Atem, der aus der Motorhaube zu kommen schien, war das einzige Lebenszeichen. Dann kam der Frühling. Die Blätter der Zwiebeln, die er gepflanzt hatte, schossen wie grüne Speere durch den Mulch. Er selbst ließ sich die langen Haare abschneiden, so kurz, dass sie die Form seines Schädels erkennen konnte. Auf der Veranda lag nun ständig sein Regenschirm,

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