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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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aneinanderstießen, sich aber einen Krater aus rotem und violettem Narbengewebe teilten. Die Narbe lief weiter nach oben, übers Knie hinweg, wo sie unter der Hose verschwand.
    »Vietnam«, sagte sie. Das war eine Feststellung.
    »Granatsplitter. Aber ich habe noch Glück gehabt im Vergleich zu anderen. Vier Stunden lag ich da, bis die Sanitäter kamen. Die Infektion war ziemlich übel, aber sie haben es trotzdem geschafft, mein Bein zu retten.« Scheinbar unbeteiligt betrachtete er es und klopfte auf eine Stelle unterhalb des Knies wie gegen eine Tür. »Da habe ich kein Gefühl mehr, die Nerven sind kaputt. Aber der Doc meinte, er hätte seinen Teil der Abmachung eingehalten. ›Ich habe das Bein drangelassen, Lapine. Aber wie gut es noch funktioniert, dafür ist eine höhere Macht zuständig.‹ Da sagte ich ihm, dass ich nicht besonders religiös sei. Und er erwiderte, es wäre vielleicht an der Zeit, das zu überdenken.«
    »Und, haben Sie es überdacht?«
    Phinneaus krempelte das Hosenbein wieder herunter. »Irgendwie schon. Mir ist nämlich klargeworden, dass Gott mich nicht retten wird, solange ich mich nicht selbst retten will.«
    Sie saß ganz still da und betrachtete ihre Hände. »Und wie macht man das?«
    »Immer einen Schritt nach dem anderen.« Er nickte, als Saisee das Zimmer betrat und fragte, ob er Tee wolle. Dann lehnte er sich wieder zurück und wartete, bis sie wieder gegangen war, bevor er weiterredete: »Vielleicht könnten Sie mir einen Gefallen tun.«
    Jetzt war sie neugierig. Welchen Gefallen konnte sie ihm schon erweisen? Es war bereits mehr als ein Jahr her, dass er Natalie kennengelernt hatte, genau in diesem Zimmer hier, daher konnte sie die übliche Bitte der anderen Männer (»Bitte stellen Sie mich Ihrer Schwester vor«) getrost ausschließen. »Wir haben Ihnen den Kuchenteller noch immer nicht zurückgegeben. Wir schulden Ihnen also etwas. Aber nur, wenn Sie mich Alice nennen.«
    »Also schön, Alice. Orion ist eine ganz gewöhnliche Klein stadt. Klatsch und Tratsch sind das offizielle Zahlungsmittel. Da wir ja Nachbarn sind und einander interessant finden, dachte ich, Sie würden mir vielleicht ein wenig über sich erzählen.« Er hob eine Augenbraue und sah sie gespannt an.
    Wenn er erwartete, dass sie jetzt einen Rückzieher machte, hatte er sich getäuscht. »Das ist dann wohl die Wiedergutmachung. Oder geht es Ihnen darum, die Informationen aus erster Hand zu bekommen? Also, was wissen Sie noch nicht, abgesehen davon, dass ich nicht schiele?«
    »Ach, da fallen mir schon ein paar Sachen ein. Wie heißen Sie mit zweitem Vornamen, zum Beispiel?«
    Sie musste lächeln. Das war eine alberne Frage, aber sie war wenigstens originell.
    »Katherine.«
    »Alice Katherine Kessler. Sind Sie nach Ihrer Mutter benannt worden?«
    »Nein, nach meiner Großmutter. Katherine war auch der zweite Vorname meiner Mutter.«
    »Hm. Mit der Information kriege ich vielleicht ein Bier bei Smitty, aber nicht viel mehr. Haben Sie einen Lieblingsbaum? Sind Sie heimlich verliebt in jemanden? Oder mögen Sie eine bestimmte Blume besonders gern?«
    Ein leiser Verdacht keimte in ihr auf, und sie drückte die Schultern im Sessel durch. Er hatte ganz harmlose Fragen gestellt. Aber es war wie beim Memory-Spielen, wo man eine Karte nach der anderen aufdeckte, um ein Paar zu fin den. Die Antwort auf eine einzelne Frage war nicht bedeut sam. Zusammen mit anderen Antworten erlaubte sie ihm aber, weitreichende Schlüsse zu ziehen. Und darauf wollte sie sich nicht einlassen. Mochten die Leute doch denken, was sie wollten. Sie würde ihnen ihre Vergangenheit nicht als Konversationsthema fürs Abendessen servieren.
    »Also, die Blumen im Garten sind doch ganz schön. Ich habe keine Lieblingsblume.«
    »Vielleicht hätten Sie ja eine, wenn Sie mehr rausgehen würden.«
    »Und wer spioniert jetzt?«
    »Ich würde unsere Vergehen nicht als gleichwertig betrachten. Wir sind doch Nachbarn. Ich wohne gegenüber von Ihnen. Sie sind jetzt länger als ein Jahr hier, und ich habe Sie noch nie in der Stadt gesehen. Ihre Schwester, die schon. Aber Sie nicht.«
    Natürlich hatte er Natalie gesehen. Natalie hatte alles getan, um sich bei den Bürgern von Orion beliebt zu machen; das heißt, fast alles. Über die Schwelle des Hauses hatte sie noch niemanden gelassen. Alice hatte sogar mitbekommen, dass ihre Schwester manchmal Phinneaus beobachtete, nur hatte sie das nicht im Verborgenen getan. Und wenn sie ihn anlächelte, lag nichts

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