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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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nehmen, ansonsten war hier Schluss. Falls das Haus noch den Kesslers gehörte, dann floss die Miete der Edells entweder in George juniors Tasche, oder er leitete sie an Natalie weiter. Wenn er dem Geld folgte, konnte er sie vielleicht aufspüren. Und wenn er sie aufspüren konnte, dann würde er möglicherweise auch die beiden fehlenden Tafeln des Triptychons finden.
    Es reichte ihm, dass er das Rätsel gelöst hatte. Sollten doch Finch und die anderen sich den Kopf darüber zerbre chen, was das Bild aussagte. Stephen wollte einzig und allein, dass sein Ruf wiederhergestellt wurde, dass es noch ein Bild gab, das auf ihn wartete, und danach noch eins und noch eins und so weiter. Das Entdecken war eigentlich alles, was ihn interessierte. Er war an die Aufregung gewöhnt, die er verspürte, wenn er die Herkunft eines Bildes bestimmen sollte. Nicht gewöhnt war er daran, dass ein Bild ihn verfolgte, ihn mit seiner Geschichte belastete, ihn dazu brachte, sich die Lebensgeschichten von Menschen auszumalen, die in mehr als nur zwei Dimensionen existierten.
    Er schüttelte den Kopf und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Er war kein Experte darin, irgendwelche Geldströme zu verfolgen. Aber nachdem er noch einige Minuten auf den Bildschirm seines Laptops gestarrt hatte, wusste er plötzlich, wer ihm helfen konnte. Für Simon Hapsend, den Mann, dessen Büro er übernommen hatte, war sein Problem ein Kinderspiel.
    Stephen hatte eine E-Mail von Simon bekommen, kurz nachdem dieser die Firma verlassen hatte. Darin stand kryptisch: »Nur für den Notfall. Auswendiglernen und vernichten. SH.« Und dann noch zehn Ziffern. In den letzten zweieinhalb Jahren hatte es keinen Grund gegeben, diese Ziffern zu wählen. Die Vorwahl war leicht zu merken gewesen: 347. Die übrigen Ziffern hatte Stephen jeweils mit einem Buchstaben von Simons Nachnamen verbunden, um sie in seinem Gedächtnis zu verankern. Er nahm den Hörer auf und wählte. Es piepte, und dann folgte eine Computerstimme, die dazu aufforderte, seinen Namen zu nennen. Stephen rief: »Simon, du hast damals gesagt, nur im Notfall. Das ist ein Notfall. Ich brauche jemanden mit deinen … sa gen wir, Fähigkeiten und Talenten, um eine vermisste Person aufzuspüren. Du musst mir dabei helfen, einem bestimmten Geldstrom zu folgen. Es ist wahrscheinlich nichts Verbotenes dabei, aber das kannst du sicher besser beurteilen als ich. Bitte ruf mich so bald wie möglich zurück. Ach ja, hier ist Stephen. Von Murchison & Dunne.« Er hinterließ seine Kontaktdaten, Telefonnummern und E-Mail-Adresse und legte den Hörer wieder auf. Am nächsten Tag würde er Finch beim Abendessen treffen. Es gab keinen Grund, ihn anzurufen, solange Stephen nicht wusste, ob irgendetwas Sinnvolles bei seinen Recherchen herauskam. Darum nahm er einen Bleistift zur Hand und erstellte eine Liste der einladungstauglichen Kleidungsstücke, die er besaß, und wartete geduldig darauf, dass Simon Hapsend ihn zurückrief.

10
    W ie hat sie denn ausgesehen, Miss Alice?«
    Mindestens hundert Mal hatte sie Frankie schon gebeten, sie nicht so zu nennen. Miss Kessler oder Alice, beides wäre ihr lieber gewesen als diese Anrede. Das unangenehme Zischen in Verbindung mit ihrem Vornamen ließ sie erschaudern und machte ihr jedes einzelne ihrer acht undfünfzig Lebensjahre bewusst. Doch Phinneaus hatte sei nem Neffen Südstaaten-Manieren beigebracht, und darum war es vergebliche Mühe, ihn davon abzubringen.
    »Du sollst doch lernen. Und außerdem ist das eine sehr unhöfliche Frage. Was würde deine Mutter wohl dazu sagen?«
    Frankie hatte genug Feingefühl, um beschämt auszusehen, jedenfalls kurz. Alices eigene Beschämung war ungleich grö ßer, als sie begriff, wie taktlos es gewesen war, die Mutter des Jungen zu erwähnen. Zum Glück schien sich Frankie mehr Sorgen zu machen, sein Onkel könnte erfahren, wie schlecht er sich benommen hatte. »Sie werden ihm doch nichts verraten, oder, Miss Alice? Ich hab noch nie einen toten Menschen gesehen. Ich wollte echt nicht unhöflich sein.«
    Sie betrachtete den Jungen, der die Lippen zusammenkniff und auf ihre Entgegnung wartete. Mit weit aufgerissenen Augen sagte sie: »Miss Natalie hat genauso ausgesehen wie immer.« Sie machte eine kleine Kunstpause. »Nur steifer.«
    Im selben Moment kam sie sich auf verwirrende Weise makaber vor. Was war bloß los mit ihr? Aber Frankie stieß einen aufgeregten Pfiff aus. Auf eine solche Antwort hatte er gewartet: schaurig genug, um seine

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